Zeit zum Nachdenken über Gentechnik! Die Kategorien von Gestern passen nicht auf die Welt von Morgen!

Sehr illustrativer Beitrag, der zeigt, dass sich die Welt von Morgen nicht mehr mit den Kategorien von gestern verstehen lässt.

Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:

Wissen, 31.08.2013

Gentechnologie

Schluss mit der Scheindebatte
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Von Katrin Blawat

Im Streit über Grüne Gentechnik dominiert eine sehr reduzierte Farbpalette: Schwarz und Weiß. Allenfalls Dunkelschwarz mischt nach Ansicht vieler Kritiker noch mit, sobald es um Großkonzerne wie Monsanto, BASF, Syngenta und deren gentechnisch veränderten Mais, Raps und Soja geht. Als weiße Retter der Menschheit inszenieren sich hingegen manche Forscher, die den Eindruck vermitteln wollen, Dürren, Überflutungen und Hunger seien demnächst kein Problem mehr, ließe man sie nur in Ruhe am Getreide herum basteln.

Bequem ist eine derart holzschnittartige Diskussion für beide Seiten. Die Wortgeschütze sind seit Jahren in Stellung gebracht und gut munitioniert. Bei Bedarf feuern sie berechenbar und so schnell, dass nicht einmal auffällt: Die ganze Debatte ist Unfug. Es bringt nichts, über Grüne Gentechnik zu streiten. Der Begriff ist so schwammig, dass kaum jemand weiß, was er eigentlich meint. Er schließt eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Methoden ein, die jeweils verschiedene Vor- und Nachteile haben. Sie unter einem einzigen Schlagwort zusammenzufassen und daran dann einen jahrzehntelangen Streit aufzuhängen, grenzt an Wahnsinn. Wer heute von „der Grünen Gentechnik“ spricht, drückt sich damit nicht präziser aus als einer, der sich pauschal über „die Geisteswissenschaften“ auslässt.

Was ist ein GVO, ein gentechnisch veränderter Organismus? Eindeutig beantworten lässt sich das nicht, und die offizielle Definition suggeriert lediglich Klarheit. In Europa gilt demnach ein Organismus als gentechnisch verändert, wenn sein Erbgut „in einer Art und Weise verändert wurde, wie sie natürlicherweise nicht durch Kreuzung und/oder natürliche Rekombination vorkommt“. Anhänge verweisen noch auf einige Ausnahmen. Das ändert aber nichts an der Gesamtbilanz: Auch diese Definition hilft nicht. Sie stammt aus einer Zeit, als Wissen und Handwerkszeug der Gentechnologen noch sehr begrenzt waren. Die damals entstandene Definition auf heute zu übertragen ist in etwa so, als wolle man den heutigen Autoverkehr mit Vorschriften regeln, die sich lediglich über die Höchstgeschwindigkeit von Pferdefuhrwerken auslassen.

Natürlich hinkt der Vergleich. Der Schritt vom Pferdefuhrwerk zur Luxuslimousine oder zum Hybridauto erscheint winzig gegenüber den Entwicklungen in der Biotechnologie. In der Anfangszeit klang die Arbeit der Gentechniker auch für Laien noch einigermaßen nachvollziehbar: Bakterien oder Viren werden zu „Genfähren“ umfunktioniert. Die Mikroben werden mit irgendeiner DNA bestückt – von Pflanze oder Tier, ganz egal – und dann dazu gebracht, diese artfremden Gene in die Pflanzenzellen einzuschleusen. Alternativ werden Zellen mit Elektroschocks behandelt. Oder es kommt die Genkanone zum Einsatz, die tatsächlich so ziellos DNA-Schnipsel in Pflanzenzellen donnert, wie es ihr Name ahnen lässt.

Beispiele wie dieses lehrten bis weit in die Öffentlichkeit hinein: Die Grüne Gentechnik setzt sich über alle „natürlichen“ Grenzen hinweg, sie vermischt ganz verschiedene Arten, und anscheinend funktioniert das nur mit kriegsähnlichem Gerät. Elektroschocks, gekaperte Mikroben und Genkanonen rufen eben andere Assoziationen hervor als Gregor Mendel und seine Erbsen im Klostergarten.

Die alten gentechnischen Methoden wenden Wissenschaftler zum Teil noch heute an. Sie kombinieren sie aber mit einem Bündel neuer Techniken, deren Bezeichnungen allein dem Laien schon Schwierigkeiten bereiten. Methoden mit dem Namen CRISPR, CMS, Tale, Zinkfingernuklease-Technik und Oligonukleotid-gesteuerte Mutagenese klingen nicht nur kompliziert, sie sind es auch. Wie viele der Demonstranten, die Samstags Protestplakate mit grinsenden Tomaten durch Innenstädte tragen, wissen, was sich hinter den kryptischen Abkürzungen verbirgt? Um die neueren Methoden zu verstehen – und das sollte selbstverständlich sein, will man sie bewerten und diskutieren – empfehlen sich mindestens einige Semester Genetik sowie Molekular- und Zellbiologie.

Das ist kein Aufruf dazu, die Diskussion über gentechnisch veränderte Pflanzen aus der Öffentlichkeit zurück in die Labore und Forschergemeinde zu verbannen. Lange genug hat es gedauert, bis sich Laien und Wissenschaftler miteinander ins Gespräch getraut haben. Deshalb: Streitet weiter. Aber nicht über Grüne Gentechnik. Auch nicht darüber, ob in der Pflanzenzucht Natur oder Technik dominieren sollen. Trennen lässt t sich beides längst nicht mehr. Erst recht stellt es keinen Gegensatz dar – auch wenn Interessensverbände diese lieb gewonnene Illusion mit großer Ernsthaftigkeit pflegen.

Diskussionen sollte es endlich über die Pflanzen selbst geben. Das klingt selbstverständlich? Ist es nicht. Weil der Begriff Grüne Gentechnik – Wiederholung schadet hier nicht – lediglich für ein Bündel wissenschaftlicher Methoden steht, sagt ein entsprechendes Label wenig über die Gewächse und deren Eigenschaften aus.

Mitunter führt das zu absurden Kategorien. Zum Beispiel hängt die Entscheidung darüber, ob eine Pflanze als GVO registriert werden muss, nicht allein von der Anwesenheit fremder Gene in ihrem Erbgut ab. Stattdessen kommt es mitunter darauf an, mit welcher Methode die DNA-Schnipsel in die Pflanzenzelle hineingebastelt wurden. Nutzt ein Forscher zum Beispiel die Genkanone, handelt es sich womöglich nicht um Grüne Gentechnik. Will er das gleiche Ergebnis erreichen, verwendet statt der Kanone als „Transportmittel“ jedoch ein Bakterium, muss er seine Pflanzen als gentechnisch verändert registrieren lassen – auch wenn in beiden Fällen die gleichen Pflanzen entstehen. Das ist kein irres Gedankenspiel, sondern Realität in den USA. Irre ist dann aber doch wieder das richtige Wort, denn bei dem Bakterium handelt es sich auch noch um ganz besonderes: Um eine im Boden lebende Mikrobe, die natürlicherweise und ganz von allein ihre Gene in Pflanzen einschleust.

Man könnte derartige Geschichten als den üblichen Behörden-Wahnsinn abtun. Wo Formalitäten das Spiel beherrschen, fallen halt hin und wieder absurde Entscheidungen, die mit gesundem Menschenverstand nicht nachvollziehbar sind – man kennt das ja. Doch so einfach ist es nicht. Denn viel zu häufig dient das Label „gentechnisch verändert“ weniger der Beschreibung eine Pflanze als ihrer Verurteilung: Schnell ab in die Ecke mit ihr.

Sollten jedoch tatsächlich einmal die gentechnisch veränderten Gewächse selbst und ihre Eigenschaften zählen, wird Chaos herrschen. Die bisher für viele Menschen so wohlgeordnete Welt der Pflanzenzucht wird erst einmal zusammenstürzen. Nicht mehr ignorieren ließe sich dann, auf welch dünnem und artifiziellem Fundament der Gegensatz zwischen „unnatürlicher“ Gentechnik und „natürlicher“ oder konventioneller Züchtung ruht.

Es wäre ein Glück, würde diese Vorstellung endlich zusammenbrechen. Sie könnte ihren Platz räumen für die Erkenntnis, welcher wesentliche Punkt alle Kulturpflanzen eint, unabhängig von ihrer Entstehung: Sie sollen den Menschen ernähren oder durch ihren Anblick erfreuen – auch wenn die Natur das gar nicht vorgesehen hat. Die Kartoffel hat sich nicht entwickelt, damit der Mensch eine Sättigungsbeilage zu Spinat und Spiegeleiern hat. Im Gegenteil, die Natur hat zum Schutz der Pflanzen dafür gesorgt, dass die meisten ihrer Teile möglichst ungenießbar sind und andererseits auch Parasiten, Viren und was es sonst noch an Krankheitserregern gibt, auf ihre Kosten kommen.

Um für sich selbst möglichst viel Ertrag und Geschmack herauszuholen, hat der Mensch schon immer herumprobiert – und dafür auf gut Glück alles an Technik genutzt, was gerade verfügbar war. Pflanzenzüchtung sei ein „Griff ins Dunkle“, soll der Agrarforscher Kurt von Rümker gesagt haben. Er gilt als Begründer der wissenschaftlichen Pflanzenzucht in Deutschland – und meinte selbstverständlich die konventionellen Methoden. Heute wird der Griff ins Dunkle den gentechnisch arbeitenden Forschern vorgehalten, häufig zu recht.

Doch auch die konventionelle Züchtung kennt Verfahren, die jeden sofort auf die Straße treiben müssten, der einen Genfood-Nein-Danke-Sticker auf dem Auto kleben hat. Zum Beispiel sind heute weit verbreitete Grapefruitsorten entstanden, indem man ihr Erbgut mit radioaktiver Strahlung traktierte. Das erhöht die Mutationsrate, das Erbgut verändert sich schneller als normal – und mit viel Glück in eine vom Menschen gewünschte Richtung. Ähnliches lässt sich auch durch eine massive Ladung Chemikalien erreichen. Eine eklige Vorstellung? Vielleicht. Doch was kümmert’s, solange sich alles noch irgendwie unter den Nimbus der Natürlichkeit quetschen lässt. Zudem fehlen für diese Zuchtmethoden so wortgewaltige Kritiker, wie sie für die Grüne Gentechnik parat stehen. In Deutschland dürfen die mit der sogenannten Mutagenese gezüchteten Sorten zum Beispiel auch als Bio-Obst verkauft werden. In Kanada werden die so entstandenen Pflanzen hingegen ebenso reguliert wie gentechnisch veränderte.

Darf es ein weiteres Beispiel sein für die unsinnige Kategorisierung in konventionelle Züchtung und Gentechnik? Herbizidresistente Pflanzen sind der Lieblings-Spielball sowohl der Gentechnik-Gegner als auch ihrer Befürworter. Gewächse, die unempfindlich gegen ein Unkrautgift sind, dienen oft als Paradebeispiel für die verheerenden Folgen Grüner Gentechnik. Weil sie den sorglosen und üppigen Einsatz von Herbiziden ermöglichen, förderten sie die Entwicklung von „Super-Unkräutern“, denen bald gar nicht mehr beizukommen sei. Außerdem würden sie, da Saatgut und Herbizid als Paket vertrieben werden, einer Handvoll Großkonzerne helfen, ihre Macht zu konzentrieren. Herbizidresistente GVO-Pflanzen sind in den Augen vieler Kritiker die Schlimmsten unter den Schlimmen.

Ob in der dunkelschwarzen Ecke noch Platz bleibt für einen Raps aus konventioneller Züchtung? Auch er ist herbizidresistent, entwickelt mithilfe der Mutagenese und vieler Chemikalien. Sprühen Landwirte auf Feldern mit dem sogenannten Clearfield-Raps Gift, vergeht das Unkraut, der Raps besteht. Seit 2012 darf er auf deutschen Feldern wachsen, ohne jede Kennzeichnung oder Mindestabstände zu benachbarten Feldern, wie sie für GVO-Pflanzen Pflicht sind. Dabei bleibt der Wirkstoff des Giftes im „Clearfield-System“ einigen Studien zufolge noch länger im Boden als Glyphosat – jenes Gift, das Monsanto zusammen mit seinen GVO-Pflanzen vertreibt. Auch eine offizielle Stellungnahme zum Clearfield-System klingt alles andere als beruhigend. „Dort, wo eine unkontrollierte Ausbreitung der Clearfield-Eigenschaften nicht ausgeschlossen werden kann, lehnen wir das System ab“, heißt es von Landwirtschaftsbehörden in sieben Bundesländern.

Viele weitere Beispiele könnten bestätigen: Konventionelle Züchtung und Gentechnik führen nicht zwangsläufig zu verschiedenen Pflanzen oder Eigenschaften. Beide Arbeitsweisen schließen sich nicht aus, sondern ergänzen sich oft. Gentechnische Methoden füllen nicht mehr nur die Lücken, die konventionelle Züchtungen offen gelassen haben. In vielen Fällen setzen Forscher Gentechnik heute lediglich ein, um schneller und oft zielgerichteter zu erreichen, was mit mehr Zeit und Aufwand auch durch konventionelle Züchtung möglich wäre. Das zu bedenken bedeutet nicht, die Unwägbarkeiten klein zu reden, die von GVO-Pflanzen ausgehen können. Risiken kann es geben; sie müssen diskutiert und untersucht werden. Das aber bitte bei allen Pflanzen, wo es nötig erscheint, unabhängig von ihrer Entstehungsweise.

Andererseits: Bleibt nicht trotz allem der Einwand, GVO-Pflanzen seien eine Besonderheit, weil in ihnen die Artgrenze überwunden wurde? Diese Denkweise zeugt von der naiven Vorstellung, wonach in der Natur alles hübsch in seinen Schubladen zu liegen habe. Bakterien, Viren, Pilze, Pflanzen und Tiere bleiben bitte unter sich, auf dass der Mensch in Ruhe seine Trennlinien zwischen Reich, Stamm, Klasse, Ordnung, Familie, Gattung, Art und allen weiteren Untergruppen ziehen kann.

Nur hält sich das Leben nicht an Systematik. Bakterien bringen regelmäßig ihre DNA in Pflanzen ein – das ermöglichte es Forschern ja überhaupt erst, die Mikrobe Agrobacterium tumefaciens als Handlanger im Gentechniklabor zu verdingen. Und wie schnell werden aus einer Art auf einmal zwei, nur weil jemand mal genauer hingesehen und plötzlich erhebliche Unterschiede zwischen zwei Individuen entdeckt hat. Biologen kennen mehr als ein Dutzend Definitionen des Artbegriffes – klingt nicht allein das nach Beliebig- oder wenigstens Ratlosigkeit?

Zugegeben, Mausgene in Erbsenpflanzen zum Beispiel klingen unappetitlich. Solche Versuche gab es und ähnliche wird es wohl auch künftig noch geben. Doch sie machen nur einen geringen Teil der Arbeit mit GVO-Pflanzen aus. (Und, nebenbei, was ist per se schlimm an Mausgenen in der Erbse? Lässt sich das beurteilen, ohne die Pflanze selbst im Detail untersucht zu haben?)

In der Mehrzahl der Fälle stammt die DNA aus weit weniger spektakulären Quellen, von einem nah verwandten Gewächs zum Beispiel. Wobei auch hier die Genetik verzwickt sein kann: Wie nah miteinander verwandt zwei ausgetauschte Gene sind, sagt allein wenig aus über das Risikopotenzial einer GVO-Pflanze. Wer über gentechnisch veränderte Pflanzen diskutieren will, darf vor komplexen Zusammenhängen keine Angst haben.

Manchmal stammen die eingefügten Gene auch aus der wilden Variante einer heutigen Kulturpflanze. Dann wird die Gentechnik dazu benutzt, den modernen Gewächsen wieder mehr Ursprünglichkeit und damit Widerstandskraft zu verleihen. Bei dieser sogenannten Cisgenese („cis“ steht für diesseits; im Gegensatz zur Transgenetik, bei der artfremde Erbsubstanz übertragen wird) tauschen Forscher zwar die DNA zweier Pflanzen mit gentechnischen Methoden aus. Trotzdem enthält die Zielpflanze später oft keinen Fitzel fremdes Erbgut. Auch das ist Gentechnik.

Verkehrte Welt? Mitnichten. Hier zeigt sich lediglich jener Pragmatismus, der seit jeher die Pflanzenzucht vorangetrieben hat. Bei Bio-Kartoffeln zum Beispiel könnte die Cisgenese es ermöglichen, weniger des schädlichen Kupfers als Insektizid einzusetzen. Nur ein Problem steht dem entgegen: Auch wenn die so entstandene Nahrungspflanze kein einziges artfremdes Gen enthält, gilt sie in Europa trotzdem als gentechnisch verändert. Noch so ein Irrsinn, der sich hoffentlich schnell ändert.

Katrin Blawat
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Nach dem Biologie-Studium war Katrin Blawat von 2007 an Volontärin und anschließend Redakteurin beim Magazin SZ Wissen. Seit Sommer 2009 schreibt sie als Pauschalistin in der Wissen-Redaktion der Süddeutschen Zeitung vor allem über biologische Themen sowie über Medizin und Psychologie.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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