Wo bitte geht’s zur Zukunft. Eine Kritik an Robert Zions grüner Kursbeschreibung.

Robert Zion hat in seinem jüngsten Beitrag an vielen Punkten recht. Etwa, dass die Grünen einen Kurs der Eigenständigkeit verfolgen sollten. Oder dass die Grünen eben so eine Art Volkspartei der Veränderungsbereiten ist. Das sagt er natürlich nicht so, sondern schreibt, sie wären eine Ansammlung von Linken, Ökologen, Liberalen und einigen anderen mehr. Widersprechen möchte ich der Festlegung, die Grünen wären eine Programmpartei, die sich jetzt mal auf ihre Programmatik besinnen sollte, sprich, wieder ein geschlossenes Politikkonzept entwickeln sollte. Bullshit!

Ich meine, dieser grüne Traum, nämlich dass die Grünen ganz einfach schlauer sind als andere und deswegen eine grüne Zauberformel entwickeln könnten, gehört auf den Müllberg der Geschichte. Weil sich nämlich aus der Tatsache, dass Grüne in der Vergangenheit konzeptionell stärker waren als andere, nicht ableiten lässt, dass das in Zukunft wieder so sein könnte.

Ein paar Argumente, die meine ultrapragmatische Position stützen könnten.

Blick zurück, nüchtern

Die vergangenen dreißig Jahre sehe ich so: Nach 45 haben die Deutschen aufbaut und verdrängt. Um sich den naheliegenden Fragen zu entziehen, wer wußte vor 45 was, wann und warum hat er nichts gesagt, haben sie Hand angelegt. Mit achtundsechzig kamen dann wir und die Fragen. Plötzlich ist alles politisch geworden. Ein fröhlicher Überbietungswettbewerb der Sozialdemokraten, die von Wirtschaftslenkung träumten, Wolkenkuckucksheime bauten und die Staatsquote erhöhten. Weil sie aber den Traum unendlicher Modernisierung träumten, den Atommüll aus ihrem Kopf und dem Blickfeld entsorgten und auch ansonsten in ihrem Wesen ziemlich spießig blieben, sind die neuen sozialen Bewegungen entstanden und, nach vielen Irrwegen, die Grünen. Das Glück des richtigen Augenblicks. Die Demut, das zu erkennen, würde uns heute weiter helfen.

Warum grüne Programmatik bisher stark war
Die scheinbare programmatische Stärke der Grünen hatte eine einfache Ursache: Wenn alle wie die Lemminge in eine Richtung rennen, ein paar wenige aber hingesehen haben und rufen, hey, das mit der unendlichen Atomenergie funktioniert nicht mal endlich, geschweige denn, unendlich. Und billig ist es auch nicht, dann mussten sie sich konzeptionell stärken. Gegen den Vogel, den „die anderen“, sprich, die etablierte Politik, den Grünen gezeigt hat, musste eine eigene Programmatik her. Weil man selbst wissen wollte, wo es lang geht, weil man sich selbst vergewissern musste, was geht und was nicht.

Was nie mehr wird, wie es war
Heute, wo entkernte Konservative Heiraten für Schwule fordern und akzeptieren, dass die Stabilität der lebenslangen Ehen ihr Haltbarkeitsdatum vor allem in den eigenen Kreisen nicht erreichen, wo ein grüner Staatsekretär eine schwarzrote Energiewende weiter führt, ist es mit der programmatischen Klarheit nicht mehr so weit her. Wenn alle in dieselbe Richtung laufen, fehlt für die Zuschauer dieser Stampede der Reiz, genauer hinzuschauen. Was man beispielsweise bei der Energiewende merkt. Wer kann schon in drei Sätzen sagen, was eine grüne Energiewende künftig wäre. Und damit nicht nur die Kader der Partei, sondern auch irgendjemand außen überzeugen.

Was anders geworden ist
Die letzte Bundestagswahl war ein Epochenende. Wer Grün gewählt hat, musste ein anderes Kalkül eingehen (und die, die nicht grün gewählt haben, wollten dieses eben nicht). Das Kalkül lautet: Wenn ihr uns wählt, machen wir viel Politik. Und weil wir ehrlich sind, sagen wir Euch, was diese Politik kostet.

Da haben viele gesagt, Nein Danke, darauf verzichten wir! Es war plötzlich keine Richtungswahl mehr, sondern es war ein heimliches Plebizit darüber, ob man der Politik, auch der Grünen Politik, eigentlich tatsächlich zutraut, dass die Gesellschaft mit noch mehr Politik, obwohl ja jetzt alle in dieselbe Richtung rennen, noch besser läuft.

Nein, da haben sich viele für eine nüchterne, unpolitische und zuverlässige Angela Merkel entschieden. NIcht reden, handeln. Apolitisches, abwägendes, zweckrationales globales Handeln als Erfolgsmodell, wenn die Zeiten unsicher sind.

Was Grüne aus der guten SPD Performance lernen können
Wer meint, man hätte das nur anders kommunizieren müssen, ist auf dem Holzweg. Beweis? Schauen wir uns die SPD an. Die hat wirklich gute Minister (wir wollen uns keinen Westerwelle statt einen Steinmayer vorstellen), sie hat eine eindeutige programmatische Führung. Und das Kunststück der Einfriedung, das Siegmar Gabriel vollbringt, nämlich große Koaltion zu fahren und bei der Energiewende und Verbraucherschutz grün blinken, ist strategisches Handwerk vom feinsten.

Aber auch die beste sozialdemokratische Regierung unter CDU Führung bringt der SPD keinen Nutzen. Weil die Bürgerinnen und Bürger die Vesprechensschönmalerei der Politik (vor der Wahl greift ja auch die Merkelpartei immer in diese Kiste) satt haben. Weil Politik immer teurer wird und ihre eigene Lage -subjektiv, lebensweltlich- immer prekärer.

Die Grünen, ob sie es wollen oder nicht, sind jetzt eine Altpartei. Der neue Trend heißt, ehrlich reden, Ball flach halten. Ob die AfD diesen Trend, dieses Gefühl besetzen kann, ist noch nicht ausgemacht, ja, da finden sich auch jede Menge Rechtsradikale drunter, der Treibstoff, mit dem die AfD fährt, ist explosiv. Wer sonst als die Grünen könnten die Explosivität dieser Anfangsmischung gut verstehen.

Wenn die Grünen, ich komme jetzt zum Schlagwort Konzeptpartei zurück, jetzt meinen, sie müssten sich wieder AUF IHRE URSPRÜNGLICHEN Ziele zurückbesinnen, springen sie zu kurz. Als Erwachsender kann ich mich auch nach meiner Jugendzeit zurück sehnen, zurück kommt sie nicht.

Die Grünen müssen stattdessen begreifen, was von ihnen gefordert ist: Nicht radikaler reden, sondern das Bessere umsetzen. Deswegen ist der Schritt Winfried Kretschmanns und der von ihr geführten Landesregierung konsequent. Wenn es mir darauf ankommt, nicht aus politischen, längst verfallenen Schützengräben fröhlich scharfe Parolen zu rufen, sondern die richtigen Schritte zu gehen, dann muss ich das so machen. Die Abschaffung der Residenzpflicht, die Lockerung des Arbeitsverbotes, mindert die Geißelnahme, die eine realitätsverleugnende CDU mit Flüchtlingen vornimmt. Ich sperre sie ein, verdamme sie zur Untätigkeit, damit sie auffällig werden und ich dann sagen kann, sehr her, ich habe es gleich gesagt: Das Boot ist voll.

Dem Sieg der großen Koalition auf der albernen Symbolbühne Berlins (wie eitel ist das denn) steht ein substanzieller Fortschritt in Bochum, Bottrup, Horb und wie die Ortschaften in ganz Deutschland heißen, gegenüber. Und dass dieser Tabubruch, dass jetzt nicht mehr über Symbolhandel geredet wird, sondern einfach Ergebnisse abgewogen werden, nicht von allen goutiert wird, das war abzusehen. Paradigmenwechsel erfolgt durch Konfliktaustragung.

Noch ein Nachsatz zur Asylpolitik. Jürgen Dahlkamp hat im Spiegel vorige Woche die Schizophrenie der ganzen Asyldiskussion gut und ohne Zynismus dargestellt: Es gibt keine Lösung. Womit wir bei der zu generalisierenden Schlußfolgerung wären.

Worum es eigentlich geht. Die neue NichtSicht der Dinge
Es gibt für die nächsten Jahre und Jahrzehnte kein Konzept, keine einfache Lösung. Der Westen ist ratlos. Das Modell des sich immer mehr aneigenden umverteilenden Sozialstaats ist am Ende. Es ist nämlich nicht der Neoliberalismus, der uns diese Botschaften einflötet (dass der Staat das nicht mehr leisten kann). Es ist die Realität, Globalisierung, die, zumindest für das reiche Deutschland alternativlos, wenngleich nicht variationslos ist. Sie führt dazu, dass globale Armut abnimmt, soziale Ungleichheit innerhalb Deutschlands zunimmt. Und so, ich komme zur Aufgabe der Politik in unserer Gesellschaft zurück, geht es darum, mit welchen Begriffen ich mich als Partei neu aufstellen kann, um das Land, also auch den wirtschaftlichen Standort, leistungsfähig zu machen, die soziale Ungleichheit (ich bin bescheiden) zu moderieren und drittens und erstens die ökologische Frage ernsthaft zu adressieren. Wenn wir ein bißchen zurücktreten, erkennen wir, dass die Welt vielleicht zur Kenntnis nimmt, dass Deutschland eine Energiewende macht, momentan aber die Stirn runzelt, weil sie wahrnimmt, dass man dauernd über Kosten redet (und alle dann denken, das machen wir schlauer). Deutschland kann also maximal Vorreiter sein, lösen kann das Land das nicht. Wir sind keine Nation der Verzichtsethiker. Und auch Ralph Fücks „Intelligent wachsen“, die neue grüne Zauerformel nach dem Rezeptbuch der 70er Jahre SPD, ist zwar gut gemeint. Aber ob sie aufgeht, wissen wird nicht.

Wir sind also in einer Situation, in der wir sehr genau die Herausforderungen kennen, aber weder Grün, noch rot, noch schwarz weiß, wie diese Herausforderungen zu meistern sind. Es ist ein Multilevel-, Multistakeholderspiel, das stattfindet. Die globale Machtprobe des Autokraten Putin, an dessen Gas wir hängen. Die Ansage einer wildgewordenen, aber gut alimentierten Truppe von Radikalislamisten, die dem Westen seine Quittung präsentiert. Weder Krieg noch Nichtkrieg ist hier die Lösung. Und dann die Fieberschübe der Technologieentwicklung. Eigentlich, geben wir es zu, sind wir, ich jedenfalls, total fasziniert davon, wie rasend sich alles ändert. Die Schnelligkeit der Entwicklung, die Nähe, die Fernes, China, Indien, Brasilien hat, tagtäglich. Die Pleiten, die aber selbst in diesem Business zu beobachten sind, das ständige Umdenken, Umsteuern, Korrigieren, das das für Unternehmen, auch in ihrer inneren Struktur notwendig macht. Kai Dieckmann hat es richtig gemacht, man muss hinfahren nach Sillicon Valley, und nicht nur aus der Ferne klug darüber reden. Ja, und es geht nicht darum, schön zu malen. Denn dieses schöne neue Internet, von dem wir geträumt haben, dass es die Freiheit bringt im arabischen Frühling und den anderen, das hat uns jetzt erst mal die NSA gebracht. Was wir damit machen, wissen wir überhaupt nicht.

Jetzt sitzt der Westen da. Vor den Augen aller Welt hat der seine Freiheitswerte im Kampf um die Freiheit sicherheitshalber selbst ruiniert. jetzt ist erst einmal angesagt, vor der eigenen Haustüre zu kehren.

Und was machen jetzt die Grünen?
Jetzt kommt Robert Zion, dessen Radialität im Denken ich sehr schätze, und empfiehlt uns, wir sollten wieder Programmpartei werden.

Nein, damit ist es vorbei. Meine These (Man kann das auch in einem Papier „Die neue CDU“ nachlesen, das auf www.zukunftvolkspartei.de der KAS veröffentlicht ist), ist, dass künftig derjenige die Nase vorne hat, der die richtigen Themen zur richtigen Zeit mit dem richtigen Ansatz spielt, sprich, der dieses Thema nach vorne bringen kann. Chairos, der richtige Augenblick spielt eine Rolle, um ein Thema richtig setzen zu können.

Wenn sich dauernd alles ändert, macht ein Konzept zur Transformation der Gesellschaft, von Grünen exklusiv entwickelt, keinen Sinn. Manchen macht es gar Angst. Mir auch. Es ist nämlich selbstbezüglich, bisher hat die Politik, auch grüne Politik nur ansatzweise gezeigt, dass sie auch mal konfliktfähig von oben (sprich, in der Regierung) ist. Jürgen Trittin war ein sehr guter Minister, weil er sich auch getraut hat, Kante zu zeigen (umso bedauerlicher ist sein neues Buch), Winfried Kretschmann ist ein guter Ministerpräsident, weil der bildhafte Spruch, „wir bleiben auf dem Teppich, auch wenn er fliegt“, auch jetzt passt, wo der Teppich gelandet ist. Beide entsprachen einem Bild davon, wie grüne Politik auch sein muss. Und sie haben was bewegt.

Grüne brauchen eine Machermentalität, nicht eine Rechthabermentalität. Und Grüne sollten offen darüber streiten, welche Rolle sie künftig haben und welche Menschen sie gewinnen wollen. Mein Plädoyer: Vergesst mir die Ingenieure nicht! Vergesst nicht diejenigen, die von Grünen gerne pauschal gebasht werden, aber den ganzen Laden nach vorne bringen, die Unternehmen, die etwas unternehmen und nicht nur sesselfurzen. Vergesst auch die Globalisierung nicht! Danke, Gerhard Schick! Kümmert euch mal um die Themen, die nicht so sexy sind, die aus dem Maschinenraum des Kapitalismus. Raus aus dem grüngestrichenen Ponyhof nationaler, eingehegter und immer machtloserer Politik, der alle Probleme als lösbar dastellt (wenn man genügend Geld dazu gibt), aber im Ernstfall an einem Flughafen scheitert. (Das ist nicht nur ein Wowi-Problem).

Ich, der ich mit vielen aufgeklärten Menschen außerhalb der Politik zu tun habe, weiß, wie viele Menschen Grüne besser finden. Warum? Weil sie hinschauen, weil sie abwägen, weil sie Mut haben. Also tut es auch und hört auf mit diesem 200 Seitenprogrammatikquatsch! Nehmt Haltung an!

Die Grünen, das hat letzthin wieder ein Dauergrünwähler, Konzernpressechef, wörtlich zu mir gesagt, die Grünen sind die besseren Liberalen. Sind also diese Wähler schlauer als die Funktionäre? Wir könnten es wissen, im Sinne Winfried Kretschmanns, weil, wie er sagt, die Kurs- und Machtfrage im Spannungsverhältnis von Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft entschieden wird. Und nicht von einer rechthaberischen Konzeptpartei.

Verstanden worden ist das von den Grünen noch nicht. Aber zumindest der Streit nähert sich dieser Frage. Das ist doch schon mal was!

Und damit zurück ins Funkhaus!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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