Weniger Politik wagen! Grüne Liberalismusdebatte (Überarbeitete Version)

Warum den Grünen die Liberalismusdebatte gut tut.

Als Parteimitglied ist meine Haltung zu den Grünen klar und gewöhnlich: Sie ist die Beste der Parteien. Die Begründung dafür ist dann schon eher ungewöhnlich: Weil sie ihre Meinung regelmäßig korrigiert, wenn es wieder so weit ist.

Der grüne Weg zur Macht.

Jetzt ist es wieder so weit. Wir haben eine Menge Erfahrungen gemacht, vom Steineschmeißen, Hausbesetzen bis zum Ministerpräsidenten. Eine ist jetzt dazugekommen, das ist, dass plötzlich alle anderen Parteien auch grün reden und unser Alleinstellungsmerkmal futsch ist. Deswegen standen wir auch bei der Bundestagswahl so nackt da: Energiewende war irgendwie abgehakt, und dann war da noch ein Riesensteuerprogramm, damit man all das machen kann, was sich die grüne Basis gewünscht hat. Die Wählerschaft hat deutlich „No“ gesagt. Und weil sich die Grünen im Moment selber suchen, ihre neue Rolle finden wollen, hört man nichts.

Das ist nicht gut, aber das ist schon ok so.

Mission completed? Grüne museumsreif? Die Turnschuhe sind ja schon drin

Die Liberalismusdebatte ist für die Grünen, für das grüne Selbstverständnis dringend notwendig. Nicht, weil man die FDP beerben will. Sondern, weil man in den kommenden Jahren der Gesellschaft, den „Wachen“ in der Gesellschaft eine Idee liefern muss, warum es Grüne, jetzt, wo alle Atomausstieg wollen, jetzt wo alle Energiewende wollen, jetzt wo alle für Homoehen und (noch nicht ganz, aber so wichtig ist das auch nicht) für ein Adoptionsrecht schwuler Paare sind, jetzt, wo alle politisch korrekt sein wollen, jetzt, wo die FDP weg ist und der Wirtschaftsflügel der CDU nichts mehr weiter ist als die personalisierte Form der Klagemauer, wo alles so schön und friedlich und konsensuell scheint auf der deutschen politischen Bühne, warum es Grüne also noch braucht.

Mission accomplished! Die Museumstüren stehen offen. Die Turnschuhe sind schon drin. Aber wie geht es weiter?

Liberalismus und Bürger- und Verbraucherrechte

Die Liberalismusdebatte hat einen Teil, der langweilig ist. Die Grünen waren schon immer eine Partei der Bürgerrechte. Abgehackt. Die Grünen sind, weiter, auch eine Partei der Verbraucherrechte. Nicht ganz abgehackt, da muss man aufpassen, dass die Grünen nicht nur zu einer Partei der Verbraucherschutzorganisationenrechte wird, weil es „den“ Verbraucher nicht gibt (übrigens auch nicht DEN Krankenversicherten), sondern unterschiedliche Verbraucher mit unterschiedlichen Wünschen, Anliegen, Ideen und Weltbilder. Folge: Wer alle Rechte an Verbraucherschutzorganisationen delegiert, hält die Bürger, die Verbraucher und natürlich auch die Innen, – unmündig. Auch da kommt es darauf an, dass BürgerInnen nicht nur als Zaungäste dabei sind, wenn in ihrem Namen (angeblich) ihre Anliegen verhandelt werden.

Wie halten es Grüne mit einer liberalen Wirtschaftspolitik?

Der spannendste Teil der Liberalismusdebatte ist aber der, bei dem die Fetzen fliegen könnten: Wie halte ich es mit der Wirtschaftsgesellschaft, vulgo, dem Kapitalismus in der oszilierenden Form, die wir heute haben? Was denken wir über die Freiheit der Unternehmer, die, ich spitze es zu, dann immer auch die Unfreiheit anderer ist. Welche Rolle haben für uns die, die am politischen Geschäft eher uninteressiert sind und es höchstens zur Kenntnis nehmen, wenn es ihr wirtschaftliches Tun behindert? Wann sind Konzerne eigentlich Störfaktoren? Ist, wie Michael Schafschwerdt meinte, die Frage nie eine Frage der Unternehmensgröße oder ist, wie Gerhard Schick meint, der Konzern die Wurzel allen Übels, die Folge also wäre: „Zerschlagt die Konzerne“.

Wie wäre es damit: Einfache Antworten gibt es nicht!

Ich frage mich, wozu das alles so aufgeblasen wird. Was Grüne vom Liberalismus (mit einigen utilitaristischen Einschlägen) lernen könnten, ist, dass, ich zitiere ein sehr empfehlenswertes Buch von Marcus Gabriel „es die Welt nicht gibt“ (Der ganze Titel ist, „Warum es die Welt nicht gibt). Meine Schlussfolgerung: Nicht nur die Welt ändert sich, parallel dazu sollten wir daran arbeiten, dass sich auch unsere Vorstellung von der Welt ändert. Begriffe sind Geh-, sind Verstehhilfen und wenn sich der Boden, auf dem wir uns bewegen, die Strecke, die wir vor uns haben, ändert, brauchen wir auch andere Gehhilfen. Intuitiv haben das die Grünen schon immer so gemacht, siehe den Anfang. Jetzt wäre es an der Zeit, sich eine Vorstellung davon zu verschaffen, warum man so erfolgreich ist. Solange man noch erfolgreich ist. Und was wir tun müssten, damit das so bleibt.

Begriffe, Konzepte sind Geh-, besser Verstehhilfen

Grüne haben sich schon eine ganze Reihe von Gehhilfen gebaut, die gut funktionieren. Die neuesten: Ralph Fücks hat ein Buch geschrieben, „Intelligent wachsen“, das einem manchmal nur auf „small is beautiful“ und kleinräumige Landwirtschaft und Sonnenblumenfelder und Windräder fixierten grünen Publikum zeigt, dass auch die „böse“ Industrie doch wirklich gute Ideen hat, die die Welt retten könnten, auch wenn wir heute noch nicht wissen, was davon unter welchen Umständen welches Stück von der Welt wirklich rettet. Die Zukunft ist offen.

Aber mit dem Gedanken kommen wir ein Stück weiter.

Gerhard Schick hat ein wirklich lesenswertes Buch geschrieben, das sich gut verständlich mit der globalen Finanzwirtschaft auseinandersetzt und mit den großen Konzernen. Ja, könnte man sagen, die von ihm zitierte Netzwerkanalyse, dass wenige Menschen die wahre Macht innehaben, könnte den Marxschen Begriff des Monopolkapitalismus wiederaufleben lassen, aber als Idee, als EIN Bild, kann man es auch stehen lassen.

Auch damit kommen wir ein Stück weiter.

Es sind aber nur Einzelausschnitte, sie ergeben zusammen noch kein Gesamtbild. Aus meiner Wahrnehmung mangelt es vor allem an einem realistischen Blick über die deutsche, über die europäische Nachkriegswelt hinaus. Was wir brauchen, ist ein Bild dafür, wie wir, Deutschland, Europa, den Tiger der Globalisierung reiten können.

Gibt es gute und schlechte Unternehmen?

Bei uns klingt das so: Oben gibt es die dicken Konzerne. Und unten die neuen schnellen Startups, die Mittelständler. Denen Unten gehört unsere Sympathie, wie immer.

Aber nichts muss aber bleiben, wie es ist. Eine der Schwierigkeiten ist, dass die Neuen, die von Unten, die Schnellen, zumindest im Falle Google ist das ja so, ganz schnell zu einem der da oben werden können. Google hat derzeit das größte aller Monopole, ein Quasi Wissenszugangs-Monopol. Zehn Jahre vorher war das anders, da haben wir uns an Microsoft festgebissen.

Wenn wir es nüchtern beschreiben, wird, neben oder in Verbindung mit dem Finanzbereich, die Welt gerade von der Informationstechnologie neu definiert. Und die wiederum hat unten viele Start-Ups und Ideen. Und oben einige wenige Oligopole, Amazon, Apple, Google. Und vielleicht noch Microsoft.

Was tun mit AmazonGoogleApple?

Wir als Deutsche, wir als Europäer haben nämlich noch ein anderes Problem: Es ist völlig irrelevant, was wir sagen, die Technologie entsteht nämlich nicht bei uns. Und wir könnten zwar einen Zaun um Europa machen, mehr aber auch nicht. Wann reflektieren wir in unserem politischen Weltbild eigentlich, dass die Musik zum Großteil woanders spielt, außerhalb Europas, weil viel spekulatives Kapital (ich meine das durchaus positiv) und viele ganz entschiedene Menschen, nehmen wir einfach mal den Tesla Gründer Elon Musk, aber auch die Google Jungs, ihr Ding machen. Die EU brütet dann wieder an einer Lissabon-Strategie, oder einer Nachfolgestrategie, aber wann sprechen wir eigentlich mal aus, dass Politik das gar nicht steuern kann? Und wenn, dann, wie über die Lissabon-Strategie vor allem sinnlos Geld versenkt? Straßen, Flughäfen, leerstehende Immobilien?

Liberalismus, heißt auch, die Welt so zu sehen, wie sie ist. Und nicht nur, wie wir sie uns wünschen.

Was ich sagen will: Wir sind in einer Situation, in der wir Grüne uns neu orientieren müssen. Wir, die wir so stolz auf unsere Umbaupläne waren, alles fertig in der Tasche hatten, beginnen zu ahnen, dass wir die Welt nicht politisch wuppen. Dass wir die Kraft der ganzen Gesellschaft brauchen. Und zwar wirklich und nicht nur als Halbsatz in Programmen.

Diesen Blick auf die Gesellschaft kann uns die Liberalismusdebatte öffnen. Deswegen mein Plädoyer für einen ordnungspolitisch scharfen, aber in seiner Interventionsflut nachlassenden Staat, für eine streitbare, aber risikofreudige und entscheidungsfreudige grüne Politik.

Klare Ordnungspolitik ist mehr als „Nachtwächterstaat“

Diejenigen, die sich gerne in der Begriffswelt des Links-Rechts-Schemas aus dem 19. Jahrhundert aufhalten, nennen das dann Nachtwächterstaat, aber das ist, weil sie das als einen Kampfbegriff umdeuten wollen. Die Idee eines ordnungspolitisch scharfen Staates, der Konzerne, die sich politischen Angelegenheiten bemächtigen wollen, zerlegt, zerteilt (die USA haben das schon Anfang des 20. Jahrhunderts vorgemacht, dass so etwas geht, gerade als kapitalistische Nation), ist eine gute. Sie erfordert Mut, Ausdauer, Kraft und den Verzicht auf viele einfach zu erobernden und leicht zu nutzende Medienbühnen. Sie erfordert, sich weitere Fragen zu stellen: Zum Beispiel Haben wir, hat Deutschland, hat Europa eigentlich überhaupt noch einen Konzern, bei dem das notwendig wäre? Ist Siemens, um eines der deutschen Dickschiffe zu nennen, tatsächlich so ein Konzern? Nee, da bin ich mir sicher, auch Gerhard Schick würde da lächeln. Bei der Deutschen Bank guckt er sich das ja an. Vielleicht hat Europa ja längst keine Konzerne mehr, die irgendwie „systemrelevant“ sind. Bei den Banken gibt es auch nur noch eine, das ist die oben erwähnte Deutsche Bank. Und bei den beiden letzten, durch die Energiewende überflüssig gewordenen Energiekonzernen RWE und EnBW haben wir ja auch noch keine klare Meinung. Weil Politik im Spiel ist,weil das Arbeitsplätze kostet.

Eine ordnungspolitisch scharfe Politik muss also konfliktbereit sein, aber auch nur dann, wenn sie durchsetzungsfähig ist. Wild gegen Google wettern schön, aber das nutzt nichts. Günstige Konstellationen sind also gefragt, Großwetterlagen, Zusammenarbeit und ähnliche übernationale Interessensidentitäten. Das, und das ist keine Propaganda, sondern Realität, gibt es nur selten und dann muss man es nutzen.

Pragmatisch zu sein, heißt heute, den richtigen Zeitpunkt zu erkennen.

Alles hat seine Zeit. Das schneller zu verstehen als andere, könnte die Chance der Grünen sein. Als „wache“ Partei könnte sie die Partei sein, die erkennt, wann etwas durchsetzungsfähig ist, wann Chairos gekommen ist. Als Partei mit außerparlamentarischen Wurzeln könnte sie die Partei sein, die Zivilgesellschaft mobilisiert, wenn es etwas zu mobilisieren gibt. Und als Partei, die im politischen Alltag Ergebnisse erzielen will, könnte sie die Partei sein, die Unternehmen entdeckt, sich endlich einmal daran macht, sich ökonomisch schlau zu machen und nicht nur über, sorry, „Gutmenschenthemen“ spricht, sondern auch über die Frage, wie eigentlich der Wohlstand, den wir zu verteilen suchen, erwirtschaftet wird und was zu tun ist, dass Wirtschaft flutscht. Unternehmer, Gründer, Erfinder unternehmen, gründen, erfinden. Politik soll sie auch einfach mal machen lassen und erkennen, dass es nicht immer die Politik ist, die Zukunft und Zukunftsentwürfe erkennen kann, sondern Zukunft in der Summe einfach entsteht. Manchmal braucht es politische Richtungskorrekturen, aber am besten ist es, wenn man das Ganze einfach laufen lassen kann. Unternehmer, die sich oder wem auch immer was beweisen wollen, finden schon Lösungen, Forscher, die endlich mal zeigen wollen, dass auch sie einen Beitrag zur Verbesserung der Welt leisten können, soll man forschen lassen.

Die Liberalismusdebatte der Grünen könnte der Weg sein, auf dem die Grünen der Gesellschaft sagen, hey, redet mit uns. Wir wissen, dass ihr die Ideen und Produkte entwickelt, die wir brauchen.

Die Liberalismusdebatte könnte den Grünen also helfen, ihr Weltbild zu erweitern. Zu erkennen, dass es eine Gesellschaft außerhalb der Politik und der politischen Öffentlichkeit gibt. Dass diese trotzdem substanzielle Beiträge für die politischen Anliegen liefert. Dass da immer wieder mal was zu regulieren ist, aber dass Deutschland auch deswegen gut ist und war (Italien war das übrigens auch lange), weil findige, robuste, pfiffige, schlaue, manchmal auch bauernschlaue Unternehmer und ihre Mitarbeiter weiter gemacht haben. Auch, wenn sie von der Regulierungswut der Politik genervt waren.

Die Liberalismusdebatte könnte uns Grünen helfen, mit der Mitte der Gesellschaft, denen, die etwas bewegen, eine Diskussion auf Augenhöhe zu führen, das Besserwissen sein zu lassen.

Diejenigen aus den Unternehmen, diejenigen außerhalb der politischen und politisierten Sphäre, die es ernst meinen, die Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen, die anpacken, die Lösungen entwickeln, anzusprechen, deren Vertrauen zu gewinnen, ist der Schweiß der Edelsten wert. Dem der Grünen nämlich.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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