Weniger Politik wagen, dafür aber zukunftsträchtigere. Eine Perspektivbetrachtung

Alles ändert sich. Und so taugen die Erfolgsrezepte von gestern und in der Politik für morgen nicht mehr. Niemand leidet darunter mehr als die SPD. SPD-Chef Gabriel hat nach der letzten Wahl scheinbar alles richtig gemacht: Die große Koalition arbeitet weitgehend eine SPD-Agenda ab. Mindestlohn, die Gesundheitspolitik, in der Familienpolitik gab es Herdprämienscharmützel, die zu einem Kopfschütteln von CDU-CSU-Wählern führen müssten, die SPD Minister sind medial wesentlich präsenter als ihre CDU/CSU-Kollegen. 

Und trotzdem zündet das nicht!

Der eine Grund ist Gabriel selbst. Alles will er selber machen. Mal Arbeiterführer, mal Wirtschaftsversteher, fast zweiwöchentlich wechselt er die Rollen. 

Das irritiert. 

Der andere Grund aber, und der ist strukturell tieferliegend, warum die SPD seit Jahren auf dem Weg ins Abseits ist, hängt an dem Politikverständnis der Akteure. Zwischen dem Politikverständnis vor allem linker Konzeptpolitiker und den BürgerInnen klafft eine wachsende Lücke.

Noch immer orientieren sich SPD, Grüne und Linke in ihrer Mehrheit an Willy Brandt’s „Mehr Politik wagen“. Sie zeichnen harmonisch friedliche Welten, wenn man sie wählt. Sie haben hundertseitige Konzepte ausgearbeitet und in langwierigen Debatten durch ihre Parteilabyrinthe geschleust. Sie wollen Wachstum und Wohlstand und Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Sie wollen mehr Wachstum für Deutschland und mehr Gerechtigkeit für die Welt. 

Nur glauben das immer weniger Menschen. 

Angela Merkel hat das verstanden. Sie hält den Ball flach, verzichtet auf übermäßige Medienpräsenz und macht, was zu tun ist. 

Die Agenda ist da schon lang genug. 

Winfried Kretschmann hat das verstanden. Die Menschen wollen gut regiert werden. Sie wollen den Dialog auf Augenhöhe. Aber sie wollen auch, dass die bewährten Dinge im Dorf bleibt. Oder im Dorf zu bewältigen sind.

Egal, ob es sich um die Autoindustrie im Dorf oder die Flüchtlinge, die im Dorf untergebracht werden, handelt. 

Am Ende zählt, was vor Ort rauskommt. Wenn man ganz zu Ende denkt. 

Für Politiker, die noch immer über ihren Glaubwürdigkeitsverlust rätseln, heißt das: Man muss die Dinge bis zum Ende denken. Man muss die Welt wahrnehmen, wie sie die Bürgerinnen und Bürger wahrnehmen. Da sind dann die Kriege im Nahen Osten ganz nah, die Politik, und zwar die gesamte Weltpolitik machtlos, die Menschen gebannt, weil sie keine Lösung sehen. Und Politiker haben immer die heile Welt versprochen, gekommen ist es dann immer ganz anders. 

Da spielt dann die Frage der Herdprämie, der 5 Jahresgarantie für Kaisers-Beschäftigte und sonstige Klientelpolitik keine Rolle mehr. 

Weltereignisse schlagen Innenpolitik. 

Servus, Gabriel! 

Was Menschen heute von der Politik erwarten, ist Orientierung und Haltung. Also über Nachhaltigkeit und Wohlstand für Deutschland reden, über Zusammenhalt in der Gesellschaft und eine gerechtere Welt. Über die Leistungskraft dieses Landes und die Gerechtigkeitsfrage. 

Aber mit weniger Aufgeregtheit.

Die erste rotgrüne Koalition waren eine Zeitenwende der Politik. Eine Zeitenwende und ein Generationswechsel. Aber ehrlich, nach 6 Jahren Eitelkeit (und obwohl diese Regierung, trotz ihrer Eitelkeit trotzdem einige entscheidende Weichenstellungen in Richtung Wettbewerbsfähigkeit gemacht hat), hatten wir alle genug von den Staatsschauspielern. 

Seither leben wir mit einer uneitlen, quasi nichtpolitischen Angela Merkel ganz gut. 

Jedenfalls besser als mit allen Alternativen. Und besser als alle Länder drumrum. 

Was ist also das Alternativmodell zu Angela Merkel?

Treten wir also einen Schritt zurück. Lange Jahre herrschte in West-Deutschland eine Atmosphäre des Ausblendens. Nach der Nazizeit wollten viele nichts mehr zu tun haben mit Politik. Deswegen wurde die CDU/CSU die unpolitische Volkspartei, die SPD die programmatische Alternative.

Weil sich die FDP dann auf opportunistisches „Zünglein an der Waage sein“ beschränkt hat und alle drei Parteien ein „Weiter so“ mit Wirtschaftswachstum und Wohlstand (und ohne Berücksichtigung der Umwelt) propagiert hatten, stiegen die Grünen auf: Partei des Umweltschutzes, der Nachhaltigkeit, einer Kultur der Streitbarkeit. Aber auch: Eine Kultur der symbolischen Klasse und der Wissensarbeiter. 

Diese deutsche Konstellation ist weltweit einmalig: Eine Partei, die sich über die Umweltfrage dauerhaft etabliert hat, wie es Außenbetracher wahrnehmen. 

Tatsächlich ist es aber nicht nur eine Partei des Umweltschutzes.  Sondern eine der Debatten, der Partizipation, der Zivilgesellschaft. Und: Des sich ständig neu Erfindens. 

Jetzt ist es wieder mal an der Zeit, dass sich Grüne neu erfinden. Oder vielmehr: In Baden-Württemberg haben sie sich bereits neu erfunden. Jetzt müssen sie es bundesweit begreifen und, und das selbstbewußt, programmatisch untersetzen. 

Nur die Grünen können die Vorreiterrolle für eine auf Interessensausgleich und Gemeinwohl beharrende und zukunftsgewandte Gesellschaft übernehmen. 

Sie habe nicht diesen Spagat zu bewältigen wie die SPD. Den zwischen Modernisierungsverlierern und Modernisierungsgewinnern. 

Wenn die Grünen künftig eine erfolgreiche Und noch vorne gerichtete Rolle spielen wollen, dann müssen sie diejenigen, die die notwendigen Veränderungen mit tragen und gestalten, ansprechen und für sich gewinnen. 

Die mutige, gestaltungswillige und veränderungsbereite Mitte der Gesellschaft. 

Die Grünen als pragmatische Partei nach vorne blickender Veränderung

Das bedeutet nicht, dass die Grünen die Partei sind, die von Umbauplänen strotzend den Alltag nicht mehr wahrnimmt. Sondern, dass sie, wissend, in welchem Szenario sie agieren (Globale Ressourcen, Veränderung der Wirtschaft hin zu ressourcen- und energiesparendem, die Digitalisierung nutzenden Wirtschaftens, den Erhalt und die Erneuerung des Zusammenhaltsversprechens) lernen, hinzuhören und neue Ideen, und das werden Ideen aus der Forschung, Technologie und der Wirtschaft sein, in ihre politische Agenda einbauen. 

Dann haben die Grünen das Zeug, die nach vorne denkende und handelnde Volkspartei zu werden. 

Tun sie es nicht, werden sie zu einer belanglos klugscheißend (oder moralisierend) nervenden Partei des linken Randes schrumpfen. Eine Partei, die die Privilegien einer Staatsnah arbeitenden Schicht von Menschen sichert. Eine linke Klientelpartei. 

Was für Grüne zu tun ist

Das bedeutet aber auch, das bloße „von Unten“, „von Außen“, „aus der NGO“-Perspektive Denken und Handeln hinter sich zu lassen und zu erkennen, dass auch Wirtschaft richtige Lösungen haben kann und Technik nicht immer mit erdrückenden Nebenwirkungen belastet ist.

Deutschland braucht keine dritte Linkspartei. Zumal keine mit einem derart bürgerlichen Hintergrund (höchstes Einkommen, höchster Bildungsstatus). 

Wie wir an der Flüchtlingsfrage erkennen können, gibt es für jede politische Frage einen guten und einen schlechten Zeitpunkt. Wer jetzt, wenn Krisenmanagement angesagt ist, meint, er müsse selbstverliebt weitreichende Großkonzepte herausblasen oder gar, wie Jürgen Trittin, Simone Peters oder die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann, die politische Bühne zu langwierigen Entlarvungs-Apologien nutzen will (Subtext: „Da ist der Kapitalismus oder der Neoliberalismus schuld“), der wird nach Hause geschickt! Jetzt sind nicht Entlarver und Besserwisser gefragt, sondern Problemlöser, Manager. 

Und das wird so bleiben. Denn die Grünen selber haben die Weichen auf Nachhaltigkeit gestellt.

 

Die Grünen müssen jetzt also eine Antwort darauf geben: Wie kann eine freiheitliche und wettbewerbliche Gesellschaft auf dieser Stecke möglichst schnell Geschwindigkeit aufnehmen? Und, um ein weitreichendes Mißerstädnis auszuräumen: die Antworten darauf wird die Politik nicht aus eigener Kraft finden. Sondern indem sie den Dialog auf Augenhöhe führt. Zuhört, auch der Wirtshaft zuhört, nachdenkt, gewichtet. 

Und dann entscheidet.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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