Warum sich Grüne neu erfinden müssen. Und Baden-Württemberg die Blaupause dazu ist.

Der Neuanfang ist ganz unspektakulär. „Wir bleiben auf dem Teppich, auch wenn der Teppich fliegt“, kommentierte Winfried Kretschmann im Wahlkampf 2011 den unheimlichen und trotz Stuttgart 21 unerklärlichen Höhenflug der Grünen. Das war vor Fukushima. Der Chef auf dem fliegenden Teppich ist seiner Haltung treu geblieben als erster Diener des baden-württembergischen Staates. Er hat mit einer Politik des Gehörtwerdens Weichen gestellt. Entgegen der grünen Funktionärserwartung wurden von ihm nicht nur Bürgerinnen und Bürger gehört, sondern auch diejenigen, die Baden-Württemberg stark machen, die technologiebasierte, innovative und exportorientierte Wirtschaft. Der Mut, das Ganze zu sehen (und die auf Klientelperspektive wegzulassen), wird hoffentlich Zeichen setzen.
Die Überwindung des „entweder ökologisch oder technologisch“, die  Offenheit gegenüber Anliegen der Wirtschaft, wenn sie dazu beiträgt, Baden-Württemberg und Deutschland innovativ und stark zu machen, die geräuschlose Arbeit seiner Ministerriege, Franz Untersteller für das grüne Herzensanliegen Energiewende, Theresia Bauer, bereits zum dritten Mal zur Wissenschaftsministerin gewählt und auch der anfangs etwas stolpernd auftretende Winne Herrmann, der sich letztlich für das „Besser Machen“ anstatt „Schöner Reden“ entschieden hat, geräuschlose Nüchternheit ist das Markenzeichen dieser Regierung. 
Think global, act local, in Baden-Württemberg kann man studieren, was das heisst. In erster Linie das Zurückschneiden der eigenen überbordenden programmatischen Vorschläge, in zweiter Linie weitgehend fehlerlose Administration.  Und, drittens und nicht letztens, frühzeitig richtig mit den Fragen umzugehen, die einem nicht in den Kram passen. Zuvorderst die Flüchlingsfrage, die Unordnung in die ordentliche deutsche Welt bringt. Die  Flüchtlingsfrage, die nur gemeinsam mit den zahlreichen CDU Bürgermeistern zu bewältigen ist. Und weil Winfried Kretschmann das alles fehlerlos bewältigt hat, wäre ein Sieg am kommenden Sonntag gerechter „Lohn der Angst“. 
Die Spätzlesgrünen. Und die anderen.
Was heißt das alles für den Tag danach? Sind Kretschmanns Grüne vordergründige Apeasementpolitiker vor dem Hintergrund der Unveränderlichkeit der Dinge? Resignation? Taktik? 
Ich meine, Baden-Württemberg skizziert eine erfolgreiche Neuausrichtung der Grünen. Die Bundesebene hat weitgehend versagt, Cem Özdemir wirkt in seinen inhaltlich richtigen Vorstößen immer wieder etwas verloren.  Die grüne Bundestagsfraktion kuschelt lieber in innerfraktioneller Kleinteiligkeit. anstatt sich der übergeordneten, gemeinsamen und nicht ganz einfachen Frage zu stellen:
Wozu heute noch Grüne?
Die grundlegende Frage bleibt nämlich: Was ändert die Welt? Und auch: Was steht einer Veränderung der Welt entgegen. Und: welche Rolle nimmt Politik, gar Landespolitik, in einer sich neu ordnenden Welt ein. 
Wer macht Baden-Württemberg stärker? Und damit Deutschland. Und damit eine nachhaltige Erneuerung?
Wieder ist es ein schlichter Satz Kretschmann, der die Verschiebung der Ebenen ankündigt. „Ich bin Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg, ich bin nicht der Markt“, antwortete er auf die Frage, wie er denn mit den Weltmarktführern Daimler und Porsche in „seinem Lande“ umgehe. Er hat damit den Korridor seiner Entscheidungsprioritäten frühzeitig beschrieben: Über den Erfolg der deutschen Automobilindustrie entscheidet nicht die deutsche Politik, sondern die Käufer in den USA, in China und anderen Regionen, in denen Nachhaltigkeit und Spritverbrauch keine Rolle spielen. Und vor diesem Hintergrund ist auch grünes Erwartungsmanagement neu auszurichten. Es geht darum, das Zeitfenster, das die Erlöse deutsche Premiumautos offenhalten, die natürlich Spritfresser wenngleich immer effizientere Spritfresser sind, zu nutzen, um neue, zweite Mobilitätsmärkte für entwickelte Länder zu schaffen, um neue Antriebskonzepte zu entwickeln. Es geht um Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem e-mobilen technologische Weltmarktführer Tesla, der, geschichtslos, derzeit einfach besser ist. Es geht darum, den Kräften im Land, die die Produkte für eine neue Energiepolitik, Technologiepolitik und Mobilitätspolitik erst entwickeln, Mut zu machen, zuzuhören und zu erkennen, was Politik dazu beitragen kann, die neuen Wege auch zu gehen. 
Politik des Gehört Werdens war ein erster Schritt. Jetzt ist eine Politik des Besser Machens nötig. 
Früher als andere hat der analoge Winfried Kretschmann die Digitalisierung zur Chefsache gemacht. 
Konsequenter als andere hat Kretschmann die Folgen der Flüchtlingsfrage für die Veränderung der politischen Landschaft begriffen (Nicht markige Ankündigungen und Sprüche im Sinne von „Welcome Refugees“, sondern eine behutsame, aufmerksame administrative Begleitung dieser Herausforderung, ein Nachsteuern, Koordination, führt zu einer erfolgreichen Bewältigung dieser Herausforderung). 
Ein neues, wirtschaftlich starkes und nachhaltig erfolgreiches Deutschland entsteht nicht am grünen Tisch hochmotivierter Gesellschaftstheoretiker (die haben ihre Aufgabe mit der Kurskorrektur bereits erledigt), sondern im kritischen Dialog mit Naturwissenschaften, Technologie, Wirtschaft und Unternehmen. Sie schaffen die Voraussetzung für nachhaltigen, globalen Erfolg neuer Konzepte und Technologien. Ihnen zuzuhören, sich mit diesen Fragen auseinander zu setzen und dann die Unternehmen und unternehmerischen Strategien, die ökonomisch und ökologisch wegweisend sind, zu begleiten, zu unterstützen und gesetzgeberisch zu flankieren, das ist die Aufgabe, die grüne Politik hat. Eine Politik in Verantwortung für die Gesellschaft und aus der veränderungsbereiten Mitte der Gesellschaft heraus. 
Die Grünen, die Partei der besser Gebildeten und besser Verdienenden kann eine Politik in Verantwortung für die Gesellschaft machen. Aber nur, wenn sie die Prioritäten richtig setzt. Deutschland braucht keine dritte Partei der Hartz IV-Empfänger und Modernisierungsverlierer. Deutschland braucht keine grünen Bedenkenträger. Deutschland braucht eine grüne Partei, die  denen, die das wirtschaftlich erfolgreiche Deutschland  leistungsfähig und nachhaltig machen, eine politische Heimat bietet. Und die dann eine Politik im Verantwortung fürs’s Ganze macht.
Seit ihrer Gründung haben sich die Grünen immer wieder neu erfunden. Wir alle, die wir wach durch die Welt laufen, spüren, dass es wieder so weit ist. Von der FDP kann man zwar weltoffene Sprüche erwarten, aber in der Politik zählt letztlich nur, was hinten rauskommt. Wer sich die ministeriellen Leistungen ins Gedächtnis ruft, und zwar von Trittin bis zu Winfried Kretschmann, versteht den Klassenunterschied zu Westerwelle, Rösler und Bahr. Und auch ein Christian Lindner wird das nicht im Alleingang ändern.
Am Sonntag wird gewählt. Und mit dieser Wahl eröffnet sich der ökologisch bewussten, der ganzen Gesellschaft verantwortlichen, weltoffenen Bürgerschaft eine neue Heimat.
Wir machen das! Gemeinsam.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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