Und jetzt mal keine Regierungsbildung, sondern ein Blick auf Brüssel.

Dort bleibt alles, was Regierungen dazu bringen soll, Zukunftsfähigkeit zu erreichen, unverbindlich. So, wie das halt ist in multilateraler Politik.

Ein interessanter Artikel aus der App der Süddeutschen Zeitung:

Aussenpolitik, 18.12.2013

Euro-Krise

Freiwillige Reformen
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Von Cerstin Gammelin

Brüssel – Den Regierungen den Euro-Länder steht es auch künftig frei, sich zu strukturellen Wirtschaftsreformen zu verpflichten – oder nicht. Anstelle den von Bundeskanzlerin Angela Merkel vor zwei Jahren geforderten verbindlichen Verträge, in denen Länder ihre Reformziele mit der EU festlegen, wollen die Euro-Länder auf dem an diesem Donnerstag in Brüssel beginnenden EU-Gipfel nur vereinbaren, über eine „Partnerschaft für Wachstum, Jobs und Wettbewerbsfähigkeit“ auf weiterhin freiwilliger Basis strukturelle Missstände anzugehen. Das geht aus dem Entwurf der Schlusserklärung des EU-Gipfeltreffens hervor. Darin heißt es, jede einzelne Regierung könne sich selbst überlegen, ob sie für selbst ausgewählte Reformen Selbstverpflichtungen mit der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat abschließe. Diese einzelstaatlichen partnerschaftlichen Vereinbarungen sollen in bestehende Abstimmungsprozesse der Euro-Länder eingebettet werden.

Wird der Beschluss auf dem EU-Gipfeltreffen tatsächlich so verabschiedet, und dafür sprechen alle Anzeichen, müsste Merkel in Brüssel erneut eine Niederlage bei dem Versuch einstecken, die Euro-Länder zu zwingen, mehr für ihre Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Merkel hatte bereits vor knapp drei Jahren, damals noch mit Unterstützung des früheren französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy versucht, die Länder der Währungsunion zu überzeugen, einen „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ abzuschließen. Die Regierungen sollten sich verpflichten, Arbeitsmärkte zu modernisieren, Kündigungszeiten und die Kopplung der Löhne an die Inflation zu prüfen, ebenso die Aufteilung der Sozialbeiträge zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern und vieles mehr. Ziel der Kanzlerin war es damals schon, dass sich die Euro-Länder über strukturelle Reformen in der Wettbewerbsfähigkeit annähern sollten. Aber schon 2011 fiel Merkels Vorschlag durch. Die meisten Regierungen protestierten, der Inhalt wurde verwässert, schließlich sogar der Name des Paktes geändert, der Begriff Wettbewerbsfähigkeit musste verschwinden. Statt auf einen „Wettbewerbspakt“ einigten sich die Euro-Länder im Frühjahr 2011 auf einen unverbindlichen „Euro-Plus-Pakt“, von dem Merkel später bemerkte, er sei hinsichtlich der Umsetzung kaum das Papier wert, auf dem er stehe. Der langjährige Luxemburger Premierminister Jean-Claude Juncker begründete die Reformresistenz der Präsidenten, Premiers und Kanzler einst so: „Wir wissen natürlich , was wir zu tun haben. Aber wir wissen nicht, wie wir dann wiedergewählt werden können.“

Weil aber das wirtschaftliche Auseinanderdriften der Euro-Länder die Währungsgemeinschaft an den Rand des Untergangs bringt, unternahm Merkel auf dem Höhepunkt der Euro-Krise Mitte 2012 einen zweiten Versuch, Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit durchzusetzen. Sie schlug vor, die einzelnen Euro-Länder sollten sich gegenüber einer europäischen Institution, vorzugsweise der Kommission, gesetzlich verbindlich zu strukturellen Reformen verpflichten – und als Anreiz finanzielle Zuwendungen bekommen. Zunächst war von einer Arbeitslosenversicherung für Euro-Länder die Rede, später von einem gemeinsamen Euro-Haushalt, um soziale Härten abzufedern. Nach 18 Monaten europäischer Diskussionen ist von dem Konzept aber kaum etwas übrig geblieben. Vertragliche Vereinbarungen seien „eine Selbstverpflichtung, basierend auf einer bindenden Partnerschaft zwischen Mitgliedsstaaten, Kommission und Rat“, heißt es in dem Entwurf der Abschlusserklärung zum Gipfel. „Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen und Reformen sollten von den Mitgliedsstaaten erarbeitet werden, in Übereinstimmung mit institutionellen und konstitutionellen Verpflichtungen, und sie sollten die Parlamente, Sozialpartner und andere relevante Beteiligte einbeziehen.“ Der kompliziert klingende Satz ist so etwas wie eine Hintertür. Stimmen etwa die Sozialpartner in Belgien nicht zu, die Bindung der Lohnsteigerungen an die Inflation abzuschaffen, wird es auch nicht gemacht. Es bleibt, wie es ist.

Wie genau das finanzielle Anreizsystem aussehen soll, bleibt in der Schlusserklärung offen. Geplant wird mit Krediten der Europäischen Investitionsbank, gemeinschaftlichen Garantien zur Senkung von Finanzierungskosten oder Krediten. Der großen Haushalt der EU darf dabei nicht angetastet werden. Festgehalten ist nur: Beantragt ein Euro-Land finanzielle Hilfe, wird „die Selbstverpflichtung gesetzlich verpflichtend“. Bis zum EU-Gipfeltreffen im Juni 2014 sollen die Details geklärt werden.

Cerstin Gammelin
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Cerstin Gammelin ist seit 2008 EU-Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Brüssel. Nach dem Abitur schloss sie ein Studium des Maschinenbaus als Diplomingenieurin ab, anschließend studierte sie Fachjournalismus. Danach arbeitete sie als Autorin und freie Journalistin zunächst für den Deutschen Fachverlag, später für die Zeit, den Spiegel und die Financial Times Deutschland sowie als Hauptstadt-Korrespondentin für die unabhängige Fachzeitung Energie & Management. Zuletzt war sie Redakteurin im Hauptstadtbüro der Wochenzeitung Die Zeit in Berlin. Im September 2005 veröffentlichte sie zusammen mit dem Zeit-Kollegen Götz Hamann eine Zustandsbeschreibung des Lobbyismus im deutschen Politikbetrieb: „Die Strippenzieher. Manager, Minister, Medien – wie Deutschland regiert wird“, Econ/Ullstein-Verlage.

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Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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