Über den Preis von Medikamenten

Selten ist ein Preismechanismus, wie er den Politikplanern von G-BA und IQWiG vorschwebt, so klar beschrieben worden wie in dem Beitrag von ANDREAS GERBER-GROTE in der taz vom 30.9.2014. Auf den ersten Blick überzeugt die Argumentation. In Kurzform: Die Gesellschaft hat das Recht, zu entscheiden, ob der Nutzen eines neuen Präperates seinen Preis rechtfertigt. Es gibt Mittel und Wege, statistisch Zusatznutzen gegen Zusatzfinanzierung aufzurechnen. Ein Verfahren wird dabei vorgestellt. Es klingt ganz plausibel.

Wenn es bei den Verhandlungen tatsächlich darum ginge, dem Preis für ein Medikament festzusetzen. Dem ist aber nicht so.

Rationalität hat immer einen Bezugsrahmen

Während die Politik und GKV eine einzige Pille und deren vermuteten Absatz, die Kosten für dieses Produkt in einem kalkulierbaren Zeitraum (nämlich bis zum Ablauf des Patentschutzes) und das im jeweils nationalen Rahmen betrachtet, mithin ein sehr überschaubares Spielfeld, muss jeder Hersteller ein ganz anderes Kalkül aufmachen.

Die Fragen der forschenden Pharmaindustrie

Vorrangig ist es eine ganz einfache Frage: Wie bekomme ich nach 20jähriger Forschung und Entwicklung über Preisverhandlungen mit 15 bis 20 (oder sogar noch mehr) Regierungen bzw. den entsprechend beauftragten Organisationen einen Preis, mit dem ich auch die Flops, die Fehlentscheidungen bei der Übernahme von Unternehmen, die richtigen Entscheidungen mit den falschen Folgen und die Entwicklungskosten der richtigen Entscheidungen mit den richtigen Absatzzahlen refinanzieren kann.

Maximale Übersichtlichkeit seitens der Entscheider steht also maximale Unsicherheit seitens der Unternehmen gegenüber. Im Grunde geht es Unternehmen darum, über die Preisverhandlungen nicht das verhandelte Produkt zu refinanzieren (die Produktion macht ja nur einen ganz geringen Anteil aus), sondern die Investitionsspielräume für die nächsten Produkte zu vergrössern.

Soweit die Schieflage.

Keine Krokodilstränen für die Pharmaindustrie. Aber Nachdenken über einen anderen Rahmen.

Warum ich das schreibe? Nicht, weil die Pharmaindustrie notleidend ist. Nein, unternehmerisch hat sich die Industrie darauf eingestellt. Es dominiert der Hang zur Grösse. Die Oligopolisierung der Verhandlungsmacht auf seiten der Staaten führt zu Gegenreaktionen seitens der Unternehmen, Fusionen sind an der Tagesordnung. Und Übernahmen von Biotech- oder jungen Unternehmen, weil inzwischen mehr als 50 Prozent der Innovationen von solchen Unternehmen kommen, die dann bei großem Pharmafirmen Unterschlupf finden.

Schon heute kann man forschende Pharmafirmen als Generalunternehmer betrachten, die darauf achten, ihren Cash Flow in Ordnung zu halten, ihre Produktpipeline offen zu halten, um mit einer durchschnittlichen Floprate weiterhin genügend Vertrauen auf den Finanzmärkten zu generieren, damit der Aktienkurs hoch bleibt. Und damit auch genügend Geld in die Kassen kommt, um die nächsten Übernahmen zu wuppen.

Wenn man, so meine Schlussfolgerung, diese Schieflage in der Gefechtslage erkennt, kann man auch absehen, dass die scheinbare Rationalität der Preisverhandlung vor allem zwei Folgen hat.

Erstens: Die Politik kann wunschgemäß bei der Kostenentwicklung für einige Jahre einen Deckel drauf machen.

Zweitens: Dieses Ziel wird aber mit erheblichen Nebenfolgen erreicht. Denn der bürokratisch-formale Wildwuchs wuchert weiter. Noch mehr Vorlauf, noch mehr Bürokratie, noch mehr künstliche Kosten-Nutzen-Konstruktionen, noch mehr Zeitverzug, aber weniger Nutzen. Die Idee von Kosten-Nutzen-Abwägungen vor der breiten Anwendung von Arzneimittel hat etwas Künstliches. Wenig Wissen, wenige Erkenntnisse werden hochskaliert. Mit Arzneimitteln erst praktische Erfahrung zu sammeln, wird schwieriger. Pharmaunternehmen suchen Um- und Auswege, um Revenue zu generieren.

Und:Arzneimittelhersteller und Politik gewinnen einen zunehmend gegensätzlichen Blick auf das Ganze.  Arzneimittelentwicklung soll nämlich dazu da sein, für Patienten Nutzen zu stiften (By the way: Auch aus dieser Perspektive ist Schadensvermeidung, also Prävention kein Geschäft). Neue Medikamente, neue Verfahren, neue Rekenntnisse könnten zu besseren Ergebnissen führen. Aber weil Pharmaindustrie und Politik in freundlich feindlichem Stellungskrieg verfangen ist, gibt es keine Debatte über eine bessere Gesundheitswirtschaft.

Was wäre eigentlich die Alternative? Wie könnte es gelingen, dass Pharmaunternehmen von sich aus an neuen, wenn möglich bahnbrechenden Erkenntnissen interessiert sind, an neuen Behandlungsansätzen, die vielleicht auch Kosten vermeiden und senken, die an einem besseren System von Gesundheitsversorgung interessiert, an einem lernenden Gebrauch neuer Arzneimittel und nicht nur an Schlupflöchern aus der Regulierungsfalle. Wenn also nicht nur Partialinteressen, einerseits Kostensteuerung, andererseits Spielräume für künftige Forschung und Entwicklung heimlich die Diskussion bestimmen?

Ich weiss es nicht. Aber dass über solche Fragen niemand nachdenkt und sich stattdessen alle an dem schönen Spiel „wer basht die Pharmaindustrie am lautesten“ beteiligen, hilft einer guten und entwicklungsfähigen Gesundheitswirtschaft nichts.

Anders gefragt: Wann finden sich mal die Akteure zusammen, die ein besseres Gesundheitswesen wollen. Ein dynamisches! Kein zu Tode administriertes.

 

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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