Syrien. Und was die USA und der Westen nicht mehr kann.

Zeitendämmerung. Das Ende der Geschichte, das Fukuyama nach dem Ende des Ostblocks einläuten wollte, hat sich, spätestens nach 9/11 als der Anfang einer neuen Geschichte herausgestellt. Und diese Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt. Es ist die Geschichte vom Ende der westlichen Weltherrschaft.

Ich sehe das so:

Der Westen führt seither eine Auseinandersetzung, die wesentlich komplexer ist. Der Marxismus war, im Rückblick kann man das sagen, Frucht des eigenen Fleisches, europäisch inspirierte Gedanken, der Glaube an Rationalität, Gestaltbarkeit der Welt, die Anerkennung der Funktionsweise einer marktwirtschaftlichen Wirtschafts- und einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Den Marxismus kann man als idealistische Extrapolation begreifen, der mit der Macht der Politik die Wirkungsweise des Kapitalismus domestizieren wollte. Rückblickend betrachtet können wir erkennen, dass die Politisierung alles Wirtschaftens dazu führte, dass immer weniger von immer weniger Menschen entschieden wurde und der Gesamtgesllschaft dadurch Dynamik, Flexibilität und Lösungskompetenz entzogen wurde. Daran ist der Sozialismus dann gescheitert. Gut gemeint, aber nicht betriebsfähig.

Die Konfrontation mit dem Rest der Welt, dem bürokratisch weiterentwickelten chinesischen Herrschaftsmodell, den großen aufstrebenden Volkswirtschaften Brasiliens, Indien und Südafrikas, allesamt keine Vorzeigemodelle funktionierender Herrschaft und Demokratie, der weithin zäh agierenden Geheimdienstaristokratie Putins und islamisch dominierten Raum des nahen und mittleren Ostens, ist da von ganz anderer Kraft und Herausforderung.

Gemeinsam ist den anderen global agierenden Akteuren, dass sie wesentlich größer sind und über eine wesentlich höhere Geburtenquote verfügen, gemeinsam ist ihnen auch, gemeinsam ist ihnen aber auch, dass sie viel technisches Know-How des Westens wahrnehmen und okkupieren. Gerade in den sich kulturell, gemessen an Frauen- und Rechtsfragen, rückständig gerierenden islamischen Gesellschaften, wirkt es immer wieder verwunderlich, wenn verschleierte und vermummte Frauen alle moderne Technik wie selbstverständlich nutzen.

Mithin stellen sich multilateriale Organisationen wie die UNO oftmals quer zu westlichen Interessenslagen. Politik ist auch auf dieser Ebene das Aushandeln von Interessen und diese Interessen sind vielfach taktisch und machtpolitisch bestimmt.

Der Westen, der die Idee der UNO vor einigen Jahrzehnten als Modell der nichtmilitärischen Verstängigung, als Idee des friedlichen Aushandelns von Interessen etabliert hat, steht deshalb inzwischen mehr oder weniger taktisch vor dem von ihm geschaffenen Homunkulus. Mal will man die Zustimmung des Sicherheitsrates (wenn es klappen könnte), mal eben nicht.

Und egal wie, der Westen hat seither eine Reihe von Kriegen geführt, die nicht zur Durchsetzung westlicher Werte, sondern maximal zur Sicherung der eigenen Interessen gedient hat (ob erfolgreich, das ist eine andere Frage): Irak, Iran, Afghanistan, alle Kriege wurden mit unterschiedlichen Zielsetzungen geführt. Und alle Länder haben nicht zu einer Befriedung der Gesellschaften geführt, sondern mehr oder weniger Chaos hinterlassen. Man sollte das auch mal so aussprechen.

Und jetzt also Syrien. Oder auch nicht, die Süddeutsche von heute (10.9.2013) berichtet kleinteiligst, wie sich Deutschland, und zwar AUS VERSEHEN wieder einmal isoliert hat von der westlichen Welt (so die Lesart). Ich meine, es hat sich nicht isoliert, sondern es hat in einer völlig unübersichtlichen und von Ratlosigkeit geprägten Lage einen anderen Entschluß gefasst. Das ist auch nicht weiter schlimm, wenn nicht Barak Obama jetzt alleine in einen Militärschlag ziehen würde, der signalisieren soll, dass er Staaten weiterhin sanktionieren kann.

Und die damit die Frage überdecken, was damit erreicht werden würde. Medial offensichtlich ist, dass in Syrien ein diktatorischer Herrscher maximal durch islamistisch dominierte Clans abgelöst werden könnten. Da hat man weder ordnungspolitisch noch machtpolitisch etwas davon, also ist die Entscheidung doch eigentlich obsolet. Natürlich geht es im nächsten Schritt um Israel und natürlich die Frage, woher künftig unser Öl kommen soll. Und auch die Handhabung der Flüchtlingsströme, die dann wieder Europa erreichen.

Nüchtern betrachtet, geht die Dominanz des Westens über die Welt zu Ende. Das tut dem Westen weh, weil die westlichen Werte, das westliche Gesellschaftsmodell, bei allen Versuchen, dass jetzt nachhaltiger zu definieren, die Ausbeutung der übrigen Welt voraussetzt. Um seinen Wohlstand halten zu können, ist der Westen überlebensnotwendig auf mehr Innovation angewiesen, um über seinen technologischen Vorsprung ein globales Chancengerechtigkeitsregime zu etablieren (Ja, der Westen hat einen technologischen Vorsprung, ja, indem der Westen die anderen Länder an seiner Entwicklungsdynamik teilhaben lässt, zwingt er sie einerseits in ein westlich wirtschaftsdynamisches Entwicklungsmodell, gibt ihnen aber auch eine Entwicklungschance).

Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage, ob jetzt Syrien sanktioniert wird oder nicht, eine nebensächliche Frage. Stattdessen drängt sich die Frage auf, wie eigentlich der Westen mit dem Islam, der kulturell stärksten Bedrohung tatsächlich umgeht.

Es stellt sich nämlich heraus, dass der Westen im Kampf gegen den radikalen Islamismus längst alle eigenen Werte selbst obsolet gemacht hat. NSA und alle damit zusammenhängenden Fragen haben klar gemacht, dass es in den westlichen Gesellschaften längst technische Eliten gibt, die die Sicherung der bisherigen Lebensverhältnisse längst nicht mehr von der Einhaltung westlicher Standards, Menschenrechte, Demokratie, abhängig machen. Guantanamo war dafür der erste Sündenfall, die Lügen beim Überfall auf den Irak das zweite, NSA, der Umgang mit dem Wistleblowing das nächste. Der Westen ist inzwischen nackt. Und das vor der Weltöffentlichkeit. Aber noch immer, will er nicht hingucken.

Stattdessen wird auf der politischen Bühne kleines Karo getragen. Der Verweis darauf, dass die anderen es einfach schlecht machen. Oder die Suggestion, man selber könne das alles ganz schlau, sanft und ohne Auswirkungen auf das Alltagsleben besser machen.

Alles Quark. Das geht nicht Politik simuliert aktuell nur unterschiedliche Varianten der Realitätsleugnung. Meine These ist ja, dass die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger, das ahnen. Die Bilder all dieser sinnlosen Kriegsresultate, die Berichterstattung (und die Scherze darüber), dass die Retter des öffentlichen Wissens über die Missachtung demokratischer Grundwerte bei Putin Zuflucht nehmen müssen, das alles nehmen viele Menschen wahr. Und sie ordnen es auf jeden Fall so, dass sie Politikern noch weniger glauben.

Der Westen ist nämlich in einer existenziellen Sinnkrise. Und anstatt das Ganze in den Blick zu nehmen und anstatt auch mal zu überprüfen, ob die Wünsche über Worldgovernance, Ulrich Beck spricht hier von Weltinnenpolitik, ich füge hinzu, aber ohne Weltinnenpolitiker, denn tatsächlich realitätsfähig sind.

In diesem Licht erscheint die Syriendebatte ebenso irreal wie die Auseinandersetzungen im Rahmen der Bundestagswahl. Falsche Themen, falsche Blickwinkel, falsche Versprechen.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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