Schwarzgrün in Hessen. Und jetzt?

Hessische Landesvertretung, 7.10, Diskussion zwischen dem CDU Generalsekretär Peter Tauber und dem hessischen grünen Parteivorsitzenden Kai Klose. Titel. Schwarzgrün in Hessen, Sonderweg oder Zukunftskonstellation. Damit kein Missverständnis entsteht: Ja, es ist richtig, dass die Grünen eine Koalition mit der CDU eingegangen sind. Gut, ich hätte immer die Bundesebene präferiert, weil dann die Grünen ihre Energiewende selber hätten machen können. So macht halt, Strafe muss sein, ein grüner Staatssekretär die schwarzrote Energiewende. Und in Hessen, bundesweit bekannt wegen der Auseinandersetzungen rund um die Startbahn West, gibt’s eine schwarzgrüne Koalition. Es fragt sich, warum, was bringt es? Und wie geht es weiter?

Wer an diesem Abend eine Antwort gesucht hat (ich musste die Veranstaltung nach meinem zornig-genervten Zwischenruf aus Termingründen verlassen), war fehl am Platz. Man kokettierte damit, wie gut man sich versehe, welche Großtat es sei, dass im Lande des Dachlatten-Börners und des Asylanten raus-Roland Koch die Parteien wieder miteinander sprechen würden. Schön, und jetzt?

Love Affair zwei smarter Jungs
Während die Zeit-Redakteurin Mariam Lau sich mühte, den Diskutanten Themen und Inhalte zu entlocken, an denen sich die Koalitionsparteien streiten würden, wirkten die beiden Jungs auf dem Podium wie in einer Love-Affair. Man war nett zueinander. Man feierte die Überwindung der Gräben. Man sah nach hinten. Ich vermute, um nicht nach vorne gucken zu müssen. Denn da stellt sich die Frage, was eigentlich die Altparteien, zu denen ja jetzt auch die Grünen gehören, voneinander unterscheiden. Und die Unterscheidung soll doch bitte mehr sein als fast folgenlose Worte.

Inhalte! Inhalte?
Die inhaltliche Bilanz vor Börsenschluß sah dann so aus: Man war sich einig, dass die beiden Parteien in der Bildungspolitik nicht so viel trennt. Man war sich einig, dass in Sachen Flughafen jede der Seiten ihre Position wahren muss. Und man pochte darauf, dass die Beschilderung der Polizei doch eine Frage ist, in der die Crux im Detail liegt. Ja, dann haben die Grünen natürlich noch darauf gepocht, dass es jetzt eine Energiewende in Hessen geben wird. Aber das waren am Ganzen Abend die einzigen inhaltlichen Stichworte. Zwischen dem Geflirte.

Nichts bleibt, wie es war
Warum badet die politische Klasse denn so gerne lau? Tatsächlich ist es doch so: Dreißig Jahre lang haben die Grünen die anderen Parteien vor sich her getrieben. In Sachen Energiewende, der Ressourcen- und Umweltfrage, ja auch mit Gesellschaftspolitik, einer anderen Rolle der Frau, Umgang mit Minderheiten -zur Einwanderungspolitik könnte man ein paar schamhafte Worte verlieren über Ignoranz hier und Multikulti-Träumen dort-,dreißig Jahre gab es einen Richtungsstreit. Jetzt, da Angela Merkel eigenhändig die Atomkraftwerke stillgelegt hat und damit den letzten schwarzen Gral geschändet hat, sind alle auf demselben Weg. Es gibt noch ein paar unterschiedliche Akzentsetzungen, ok, die Energiewende muss auch in Hessen gemacht werden, ok. Aber wenn wir davon ausgehen, dass die hessische Energiewendepolitik nochmal die Aufarbeitung einer ideologischen Altlast ist, was bleibt dann? Wenn man zum Beispiel darüber redet, was im nächsten Wahlkampf (oder gar nach der nächsten Legislaturperiode) denn Thema einer Auseinandersetzung sein soll?

Ist Regieren tatsächlich Politik?
Ich habe viel Phantasie, aber da fällt mir überhaupt nichts ein. Außer, natürlich, klein, klein. Außer, dass auch die Grünen Regieren lernen müssen, was tatsächlich heißt, dass sie lernen müssen, eine Verwaltung zu führen und sich nicht nur in parlamentarischen Staatsssekretärssesseln den Hintern platt zu sitzen. Und das zu verkaufen, was ihnen die Verwaltungen aufschreiben.

Politik, würde Niklas Luhmann sagen, ist im Begriff, selbstreferenziell zu werden. Jetzt, wo sich die Parteien in den großen Linien geeinigt haben, wo sie, und zwar CDUCSUSPDGRÜNE, die Linke fährt noch ihre eigene Spur, betonen, wie wichtig es ist, die schwierigen Koalitionsgespräche konstellationsoffen zu führen, stellt sich für den geneigten außenstehenden Betrachter die Frage, was bitte unterscheidet sie denn noch? Und: Was bewegen die überhaupt?

Wir bleiben auf dem Teppich. Aber vielleicht war es nur eine einmalige Situation, die ihn zum Fliegen gebracht hat?
Inhaltliche Politik ist es, entgegen den eigenen Behauptungen nicht. Landesregierungen, das Stichwort fiel am Abend vorher, als Anja Heiduk mit der von ihr geleiteten Kommission zur Frage öffentlicher Haushalte über die Notwendigkeit von Rücklagen für öffentliche Haushalte Gedanken gemacht hat (und zu interessanten Ergebnissen kam), fiel ein Stichwort, das man auch hätte diskutieren können: Wozu eigentlich heute noch Landesregierungen? Am Vortag war man sich einig, dass es für die Bundesländer entweder darum ginge, mal wirklich eigene Kompetenzen zu erhalten oder dann doch als erweiterte Regierungspräsidien bürgernahe Verwaltung zu machen. Diese Frage hätte man diskutieren können: Was, bitte, ist heute noch Politik. Wo gestaltet sie? Wo ist sie nur (aber eigentlich, wieso nur) Projektionsfläche soziokultureller Milieus, die sie zu binden sucht? Wäre auch ok, aber dann müsste man eigentlich anders darüber reden. Wozu heute noch Politik?

Die schwarze Perspektive
Für die CDU, das war an diesem Abend deutlich zu spüren, geht es um die anderen Spielräume, die eine bürgerlich liberale CDU (auch wenn Herr Tauber immer wieder betont hat, er käme vom konservativen Flügel, wo bitte soll man das merken?) sich eröffnet. Koalitionstechnisch, aber auch in den innerparteilichen Diskussionen. Das kann ich mir tatsächlich vorstellen, dass viele CDU Anhänger jetzt verblüfft feststellen müssen, dass weder alle Grüne in Birkenstocks rumlaufen, noch verzottelt sind, sie auch nicht gleich die ganze Industrie einstampfen wollen oder den Flughafen Frankfurt schließen, aber das hätten sie vorher schon mitkriegen können. Sie hätten Tarek Al Wasir nur mal ansehen müssen. Lessons learned. Und jetzt? Und wie sieht das bei Grüns aus?

Die Innen-Außen-Perspektive
Klar wurde mir an diesem Abend, dass es in der aktuellen Situation vor allem darum geht, die Heterogenität der eigenen Klientels zu verringern. Es geht um um neue Sprachformeln, die man finden muss, um alte Klientels, ich vermute, vor allem eine mittlere Funktionärsschicht, mit neuen Erwartungshaltungen, neuen und breiteren Wählerschichten zu versöhnen. Zumindest bei den Grünen deutet viel darauf hin, dass es die notwendige Revision des eigenen Weltbildes ist, das es ihnen so schwer macht, nüchtern auf die Situation zu gucken. Anders ist die aufbrechende Emotionalität, beispielsweise in der Asylfrage, in der Ukraine-Frage, in der Krieg-im-Nahen-Osten-Frage, nicht zu verstehen. Es geht um die eigene Identität, den eigenen Glauben, die eigene Ideologie, die plötzlich ziemlich hilflos auf der Bühne steht.

Die grüne Perspektive
Es wird kein Zurück geben. Die neue Identität der Grünen liegt nicht im Anders Denken, sondern im Besser Machen. Auch die CDU muss sich stärker mit der Frage auseinandersetzen: Wer bin ich. Und wie viele.

Aber dass sie uns währenddessen Märchen erzählen, das haben wir nicht verdient. Oder doch? Schließlich haben wir uns das ja alles gefallen lassen.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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