Schwarz braucht Zeit. Und Rotgrün.

Bernd Ulrich hat in der aktuellen Zeit (18/2013) die Feststellung getroffen, Schwarz wäre ja Rotgrün light. Ein bißchen stimmt das, ein bißchen stimmt das nicht. Denn Menschen und Gruppen, denen man ihre Identität genommen hat, reagieren heftig und verletzt. Das macht sie unberechenbar. Und dann ist Schwarz anders als Rotgrün.

Angela Merkel, Ost hat die CDU, West umgebaut. Nein, umgebaut ist das falsche Wort, sie hat die falschen Fassaden eingerissen. Jetzt können die Konservativen wieder gucken. Sie sehen Schwule und Lesben, auch unter sich, sie sehen Einwanderer in der zweiten Generation, sie sehen Ehen, die nicht mehr halten, „bis dass der Tod uns scheidet“, sie sehen nicht nur Laptop und Lederhose, die heile Bayernvariante, sondern nicht immer ganz schöne, reale Verhältnisse. Die Wirklichkeit ist mitten unter ihnen. Der verflossene Bundespräsident ist dafür nur ein Beispiel.

Schulterschluss funktioniert nicht mehr. Was Seehofer mit Hoeneß und all seinen FrauenMütterTöchterbeschäftigenden Abgeordneten, Fraktionsvorsitzenden und Ministern macht, ist eiskalt. Stallwärme war gestern.

Angela Merkel hat die moralisierend blockierenden Kulissen eingerissen. Und sie hat den Konservativen ihre Lieblinge geraubt. Das dreigliedrige Schulsystem war super für die Reproduktion unberührt bildungsbürgerlicher Sozialmilieus, leistungsfähig für die Schülerinnen und Schüler von heute (die bald zur Hälfte Eltern mit Wurzeln in anderen Ländern haben), ist es nicht. Das abendländisch christliche Weltbild lässt sich nicht per Konkordatsbeschluss aufrecht erhalten, es muss verstanden, gefüllt, gelebt, und jetzt qua Mehrheit, auch ausgehandelt werden.

Was wir aus Rotgrün eins lernen könnten, ist, dass die Chemie stimmen muss. Und ja, es gab bei Rotgrün eins einen rüttelnden Schröder und einen unentwegten Joschka. Viel „ja, ich will“ in der Mitte. Und noch mehr Beton drumrum. Das hat es nicht immer einfach gemacht. Aber gelernt ist gelernt. Jetzt gilt es, die Ruhe Angela Merkels aufzunehmen, die Welt zu betrachten und berechenbar und verlässlich in Richtung nachhaltiger Wirtschaft, ökologischer Innovation und reflexiven Lebensstil zu bringen.

Und ja, auch die CDU kann ein Koalitionspartner sein. Vielerorts ist sie es bereits. Aber wer nach Stuttgart blickt, sieht, wie schwer sich immer noch viele „Schwarze“ tun, die neuen Verhältnisse zu akzeptieren. Wie langsam sich Demokratie durchsetzt. Als Wettbewerb um die besten Ideen. nicht um die größten Stinkstiefel.

Sicher, auch Rotgrün hat Schwachstellen. Nämlich die Überbetonung des Politischen. Aber die politisch überambitionierten Umbauprogramme der Gesellschaft werden bei möglichen Koalitionsverhandlungen noch einmal auf den Prüfstand gestellt. Und dann zählt der Sachverstand. Bloß schade, dass Rotgrün nicht als eine Koalition der Vernunft, des Bürgertums und der Verantwortung für die öffentliche Belange und das Gemeinwohl antritt. Damit könnte sie bei allen punkten, die, wie Bernd Ulrich, auf verlässliche Lösungen, verantwortliche Personen und Berechenbarkeit setzen.

Angela Merkel hat, ein großes Verdienst, die Westkonservativen zurück in die Realität geführt zu haben. Jetzt brauchen sie Zeit, sich neu zu orientieren. Das beste Argument für Rotgrün.

P.S. Wo er natürlich Recht hat, ist, dass die CDU, allen voran Frau von der Leyen, rotgrüne Leistungsgesetzgebung favorisiert. Und sich damit, wie fast die gesamte politische Klasse, überhebt. Aber diese Erkenntnis muss bei Wählerinnen und Wählern und bei den Politik- und Medientreibenden erst durchsetzen.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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