Piketty, der neue Prophet. Warum ich der Suche nach Propheten überdrüssig bin

Haus der Kulturen der Welt, 7.11.2014, nebenan weisen die Ballons zum 25. Jahrestag des Mauerfalls den Weg. Im Haus der Kulturen der Welt diskutiert Thomas Piketty seine Thesen. Na ja, die sind nicht neu, die sind nicht schön, aber schön schrecklich: Der Kapitalismus hat die Reichen reicher und die Armen ärmer gemacht.

Na super.


Das kennen wir schon. Mich interessiert auch nicht die Frage, ob die von ihm aufgepinselte Zeitreihe ganz oder nur halbrichtig ist (weniger auf keinen Fall). Mich interessieren zwei Fragen: Warum sind zu dem Vortrag und Diskussion über 2500 Personen angereist, um solche Parolen zu hören. Und: Was erwarten sich eigentlich diese Menschen?

Junge, attraktive Männer und Frauen wollen hören, wie schrecklich die Welt ist. Warum?
Wer sich umgeguckt hat, sah viele junge, sehr attraktive Männer und Frauen. Studentinnen und Studenten, Poststudenten, wahrscheinlich auch junge Wissenschaftler. Ein akademischer Abschluss, so heißt es immer noch, schützt am nachhaltigsten vor Arbeitslosigkeit.

Vor Armut schützt er aber nur, wenn man nicht Architektur, Kunst und Kultur, Design, Soziologie oder Politikwissenschaften studiert. Politikwissenschaft ist ja das Studium derer, die gerne politisch sein möchten, aber sich nicht die Hände an der Politik schmutzig machen wollen: Das Nullrisikoprogramm also.

Junge und gut ausgebildete Menschen wollen hören, dass sie eigentlich nichts dazu können, wenn sie keinen Job finden.
Das kann man sich denken. Aber warum spricht das eigentlich niemand aus? Die Welt wird nicht besser, wenn immer mehr Menschen darüber nachdenken, was immer weniger Menschen als Ingenieure oder Arbeiter besser machten sollten. So wie die Welt auch nicht besser wird, wenn immer mehr Gesundheitsökonomen immer genauer festlegen, auf welchen Bahnen Ärzte und Pfleger laufen müssen, um das durchschnittlich, aber evidenzbasiert richtige zu tun. Das kommt ja auch auf den Einzelfall an, eine „Weltformel“ dafür gibt es in beiden Fällen nicht.

Jetzt auch akademisch: Die Wohlfühlgesellschaft fühlt sich unwohl!
Im Grunde sind auch diese jungen Menschen Ausdruck einer Wohlfühlgesellschaft, in der Freiheit und Selbstverwirklichung bis in die 30er (Lebens)Jahre groß geschrieben wird, so lange, bis der Katzenjammer groß genug ist, dass sich die verhaltene Wut Bahn bricht, der Staat solle jetzt auch die notwendigen Arbeitsplätze schaffen. Die Franzosen meinen ja immer noch, das auf diese Weise zu packen. Wir sehen, wohin das führt.

Salve Piketty. Morituri ……
Und so wird Piketty unversehens zum Heilsbringer. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer beginnt der junge, aufgeklärte Teil der Jugend wieder alte Träume zu träumen. Den Traum vom Sozialismus, in dem alles besser wird.

Kapitalismus: There is no alternative!
Ich für meinen Teil halte es weiter utrapragmatisch. Der Kapitalismus in dieser Form ist nicht das Nonplusultra. Es ist dringend notwendig, diese Spaltung von Arm und Reich zu überwinden. Aber realistisch betrachtet ist diese Spaltung Folge verschiedener Prozesse:

Der Globalisierung, die dazu geführt hat, dass Reichtum nicht alleine in den westlichen Ländern wächst, sondern Schwellen und Drittweltländer langsam daran partizipieren. Im Umkehrschluss wachsen die umzuverteilenden Ressourcen nicht mehr in den Himmel. Nur, was zusätzlich erwirtschaftet wird, nur wenn der Westen seine technologische Dynamik weiter aufrecht erhalten kann, wird er genügend Ressourcen erwirtschaften, die er dann verteilen kann.

Der Unsteuerbarkeit dieses Prozesses. Globalisierung führt auch dazu, dass eben ordnungspolitisch von oben nichts zu ordnen ist. Weil die echte Dynamik von den USA ausgeht. Dort hat ein kleines gallisches Dorf, Silicon Valley, mal beschlossen, zu zeigen, dass die Welt von morgen nicht mehr die von heute ist. Und dann haben die Banker von der Wallstreet, mit freundlicher Unterstützung der von ihnen finanzierten Parteien, beschlossen, die Befriedung der amerikanischen Gesellschaft einfach vom Rest der Welt finanzieren zu lassen. Erst wenn also verschiedene Entscheider in unterschiedlichen Regionen der Welt erkennen, dass es so nicht weiter geht, gibt es eine Chance, diesen Kurs zu ändern. Da ist aber noch lange hin.

Good Ideas wanted!
Insofern: Wer eine gute Idee hat, wie man den entgrenzen Kapitalismus wieder einfangen kann, nur her damit. Aber näherliegender wäre es, diesen jungen, und mit gutem Grund verängstigten Menschen zu sagen, dass sie niemand retten kann, außer sie selber. Indem sie die im Studium erworbenen Fähigkeiten nutzen und sich auf eigene Beine stellen. Nicht weiter auf eine Stelle im Wissenschaftsbetrieb zu warten, in dem sie sich mit Zeitstellen bis zum Scheitern beim Erlangen einer Professur durchhangeln, sondern einfach: In dem sie was tun.

So aber, wenn niemand mit Ihnen Tacheles redet, besteht die Gefahr, dass, anstatt sich selbst als Gestalter seines Schicksals zu betrachten, alle auf den großen ganz anderen Gesellschaftsentwurf warten. Der, in denen die Menschen aus freien Stücken nett zueinander sind. In der sie miteinander kochen, teilen, leben, lieben. Und glücklich sind. Und deshalb auch keinen Wohlstand mehr brauchen.

Ob sie sich das so gedacht haben?

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Think twice!
Es gibt aber auch einen andern Blickwinkel: Als Ultrapragmatiker denke ich in Alternativen. Unter all den vergeblich wartenden 2000 Menschen, die Piketty sehen wollten und mangels Raumgröße (er fasst „nur 800) nicht durften, wurden Spreeblüten verteilt (www.spreebluete.de), das neue Regionalgeld. Eine Initiative von unten. Und auch, wenn ich in solchen Initiativen nicht mitarbeiten möchte, das Alternativgeld könnte ein gute Idee sein. Dann nämlich, wenn die Großherrenpolitik von Politik und Finanzwirtschaft, Weiter so und Null- bis Minuszinspolitik, die die Ersparnisse der Haushalte weiter dezimiert, mithin also weiter Umverteilung von Unten nach Oben darstellt, dann doch keinen Erfolg hat.

Dann könnte die Idee eines Regionalgeldes, das auf Tausch und Vertrauen beruht, ein guter Anfang sein. Für einen neuen, realen Anfang!

Wir hoffen, dass es nicht soweit kommt. Aber doch auch gut, wenn man schon mal gerüstet ist. Danke, ihr SpreeblütenerfinderINNEN!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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