Kann nur der Staat Gerechtigkeit herstellen? Zur grünen Steuerdebatte

Ein Denkmodell und eine Warnung

Der Staat. so die landläufige Meinung, hat die Aufgabe, Gerechtigkeit herzustellen. Soweit die Theorie. Aber kann er diese Aufgabe auch in der Praxis leisten. Und welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, dass er diese Aufgabe leisten kann. Wo stößt dieses Modell an die Grenzen? Und welche Alternativen dazu sind machbar?

Als Institution, so die herrschende Auffassung, tritt der Staat dem Einzelnen in unserer endtraditionalisierten Welt immer direkter gegenüber. Die familiären Bande zerfallen, der Rückhalt des Einzelnen in der Familie und traditionalen Lebensformen schwindet. Gesundheit, Absicherung bei Krankheit und Arbeitsunfähigkeit sowie die Altersversorgung werden als Aufgaben des Staates wahrgenommen.

Das ist aber nicht immer so. Wenn wir auf die eingewanderten Teile der Bevölkerung sehen, erkennen wir, dass es durchaus alternative Modelle der sozialen Rückbindung gibt. Familiare Verbünde, beispielsweise der starke familiare Rückhalt in Einwandererfamilien ist ein alternatives oder ergänzendes Modell, den Einzelnen finanziell und sozial abzusichern. Oder eine hybride Absicherung herzustellen. Der Staat liefert einen finanziellen Grundbeitrag, den Rest liefert die Familie, sozialen Zusammenhalt eingeschlossen, dazu. Selbst bis in den Knast.

Diese staatliche Absicherung erfolgt, so die deterministische Aufgabendefinition, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten. Tatsächlich kann dieser Zusammenhalt aber nur geleistet werden, wenn die Beteiligten Personen und Gruppen diese Rollendefinition so teilen. Wenn sie sich als Teil dieser Gemeinschaft sehen. Sodass eine Rückbindung der Einzelnen zur Gemeinschaft erfolgt und Staat nicht nur als zufällig nutzbare Quelle zur Stabilisierung von Einkommen angesehen wird.

Nun mag diese Rückbindung schon immer zweifelhaft gewesen sein. Aber in einer Zeit, in der der Staat, so wie er sich definiert, das immer weniger leisten kann, lohnt es sich, darüber nachzudenken, wie man das Ganze auch anders oder ergänzend sehen kann.

In einer weniger intellektuellen Definition vonnZusammenhalt könnte man sagen, ein Gemeinwesen hält zusammen, wenn es ihm gelingt, die Zufriedenheit des Einzelnen grundsätzlich höher zu halten als die Unzufriedenheit.

Ein Mehr an Zufriedenheit kann verschiedene Ursachen haben.

Einmal, weil eine gewisse Grundträgheit vorherrscht, um Unzufriedenheit in die Tat umzusetzen. Diese zu überwinden, bedarf es der Empörung, des Zorns und der Fähigkeit, sich zu organisieren.

Zum anderen kann Zufriedenheit mit einem Aufstiegsversprechen zusammenhängen, das ist die klassische Triebfeder der Nachkriegszeit, die jedem, der wollte, ein besseres Leben versprochen hat. Und es dann auch halten konnte.

Und dann bleibt da noch das „Vom Tellerwäscher zum Millionär Versprechen. In den USA ist dieser Zusammenhalt seit jeher eher durch die „große Chance“ garantiert, das Modell „vom Tellerwäscher zum Funktionär“ ist das individualistische Gegenteil des europäischen Versprechens: Hier das Zusammenstehen der Gemeinschaft, dort das Versprechen, der Staat gewährleiste nur die Grundregeln dafür, dass der Weg des Einzelnen zu Reichtum nicht durch kollektive Schranken begrenzt wird. Wie weit dieses Versprechen die Gemeinschaft prägt, zeigt sich im amerikanischen Fall, indem ja sogar die illegale Einwanderung und Ausbeutung als Teil des Erfolgsversprechens, zumindest indirekt, eingebaut wurde. Man kann dies Ausbeutung nennen, Mittellose aus den angrenzenden Ländern auszunutzen und zu tolerieren, dass diese ihr Glück im Untergrund der amerikanischen Gesellschaft suchen. Aber das Modell funktioniert (noch), auch wenn es nicht ganz der beschönigenden Selbstdarstellung des westlichen Demokratie und Gesellschaftsmodells entspricht. Aber die Selbstbeschreibung einer Gesellschaft, die nie aus einer Gesellschaft selbst kommen, sondern die immer, Marx würde sagen, mittels sozialer Agenten erstellt und aufrecht erhalten wird, ist ebenfalls Teil dieser innergesellschaftlichen Machtfrage, um die es geht.

Das westliche Modell der Gesellschaft ist nämlich auch ein Modell der Gesellschaft, die denen nutzt, die die Macht über die symbolischen Institutionen dieser Gesellschaft haben, über den öffentlichen Bereich, den Staat, die Gesellschaft, die Schulen, Hochschulen, Wissenschaft, in einer ersten Annäherung die Gebildeten, die über die Symbolbibliothek und Deutungsmuster verfügen, mit deren Hilfe sie diese Gesellschaft deuten können. Und mit deren Hilfe sie die Deutung zur Machtfrage machen können.

Die Priesterherrschaft der Intellektuellen, die Helmut Schelsky 1968 (?) an die Wand schrieb, ist jetzt Wirklichkeit geworden. Und wir tun gut daran, die Deutung des Sozialstaats als ein Muster zu verstehen, das in Teilen der Gesellschaft Zusammenhalt herstellen kann. Aber die dies möglicherweise auf Kosten oder zum Nachteil anderer Teile tut. Wir sollten uns an den Gedanken gewöhnen, dass diese Deutung also nicht nur Beschreibung, sondern gleichzeitig Ausdruck eines soziokulturellen Konfliktes ist, mit dem Machtpositionen definiert und ausgebaut werden können.

Und es könnte sein, dass das bildungsbürgerlich definierte Modell des Zusammenhaltes, in dem der Staat nimmt und gibt, gerade jetzt, in einer Zeit, in der die Mehrheit der jungen deutschen Bevölkerung nicht mehr aus biodeutschen Familien kommt, in dem die Mehrheit der jungen Mitmenschen, auch aus Gründen der Realitätsverweigerung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die Biodeutschen, seine Deutungshoheit überschritten hat und längst von einem Deutungsmuster zur Reproduktion von Macht geworden ist.

Was soll der Porsche Chayenne-fahrende Obst- und Gemüsehändler bei mir ums Eck denken, wenn er einen Teil seines durch die Gesamtfamilie erwirtschafteten Einkommens über Steuern und Abgaben an den Staat abgeben muss, weil der dieses mit dem Vorhandensein von Institutionen begründet, die er weder versteht noch dementsprechend in Anspruch nehmen kann, Schulen, Hochschulen, Ämter, in denen Menschen aus ihm fremden Kulturen in schwer verständlichen Sätzen Auflagen machen, die er nicht zu erfüllen weiß. Und dann noch Kulturinstitutionen, die Unterhaltung und Zerstreuung versprechen, die ihm noch nie zugängig waren und auch künftig nicht mehr zugängig sein werden. Er soll bezahlen, was er nicht bestellt hat.

Das Versprechen des europäischen Sozialstaats ist statisch. Es verspricht allen Menschen, die an dieser kulturvermittelten Institutionenwelt der Gesellschaft teil haben, Absicherung. Es ist ein bestandssicherndes Modell derer, die sich inkludiert fühlen können. Es lässt diejenigen draußen, die daran keinen Anteil haben. Und, das ist das Schwierige daran, es simuliert in unsicheren Zeiten Sicherheit, die sie aber nur dann herstellen kann, wenn die dazu notwendigen Ressourcen aktuell und in der Zukunft erwirtschaftet werden. Entweder von den Hochleistungen derer, die durch die Institutionen dieser Gesellschaft (und anderem) tatsächlich an die Spitze gekommen sind oder durch diejenigen, die als Einwanderer die Kernerarbeit machen, die Working Poor bilden, durch deren Ausbeutung der Rest weiterhin sein auskömmliches Leben führen kann. Oder eben beides. Weil Modelle der Wirklichkeit nie falsch oder richtig sein können, sondern auch nur Wirklichkeit verkürzen können.

P.S. Zur kulturellen Selbstreflektion. Deshalb müsste eine Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“, so blöde, wie man diese Sendung auch finden mag, eigentlich eine Sendung des öffentlich rechtlichen Fernsehens sein, weil sie die tatsächliche kulturelle Situation vieler nichtintellektueller Familien beschreibt: Die eine Chance zu haben, auf die man wartet, die einen in ein ganz anderes Leben katapultiert und einem ermöglicht, alles hinter sich zu lassen. Aber dazu müsste diese Gesellschaft die Kraft haben, sich ehrlich anzusehen. Oder die Teile der Gesellschaft, die die Herrschaft über die Symbolbibliothek öffentlicher Macht ausüben. Die Intellektuellen und ihre Verehrerinnen und Verehrer eben.

P.S.S. In einer Zeit, in der sich die Politik darüber Gedanken machen muss, wie sie, bei den anstehenden Veränderungen der Gesellschaft, Demographie, wachsender globaler Wettbewerb, Zerfall der herrschenden kulturellen Deutungsmuster oder, anders ausgedrückt, Entstehung heterogener Deutungsmuster, sich selbst reproduzieren kann, wie sie staatliche Budgets mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen in Einklang bringen kann, sind das Fragen existenzieller Art. Wie muss man sich Gesellschaft ansehen, um mögliche inkludierenden Zukünfte von Gesellschaft, sich selbst reproduzierende lebendige und akzeptierte Gesellschaft vorstellen zu können. Die Idee von Gemeinschaft als Leitbild künftiger Gemeinschaft.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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