It’s the economy, stupid! Was wir aus dem iPad lernen können

Manche unter uns glauben, über das Netz würde die Welt neu erfunden. Geld spielt keine Rolle, Beziehungen, „Friends“ sind die Währung, die gespielt wird. Und soziale Netzwerke, das sind die großen, kostenlosen Wunderwerke der alles mit jedem Vernetzer, und „ich zeige der Welt mal, was ist heute gemacht habe“. Es ist alles so schön bunt hier. Was auch ok ist. Aber Menschen mit marxistischer Grundbildung (Erst kommt das Fressen, dann die Moral), haben sich schon immer gewundert, warum die Apologeten der Postmoderne glauben, wirtschaftliche Macht, Geld und das alles würde keine Rolle spielen. Dabei wird die Netzökonomie seit der Jahrtausendwende nur von einer Spekulationsblase getrieben, durch die, beispielsweise im Falle Google, es besser ist, jede erdenkliche Geschäftsidee zu fördern anstatt den Aktienkurs verfallen zu lassen. Und Google ist ja nicht kostenlos, sondern die Refinanzierung erfolgt über ein für den Nutzer unsichtbares Geschäftsmodell.

Warum ich der festen Überzeugung bin, dass das Ende des offenen Netzes gekommen ist. Nach der Lektüre von Bernd Graffs iPad-Unbehagen im süddeutschen Feuilleton vom 7.4.2010.

Im aktuellen Rat Race der Netzökonomie sind die Guten die Schurken. Google, das globale Unschuldslamm kümmert sich nur um das Wohl Aller, mit kostenlosen und offenen Internetstandards (mal abgesehen vom eigenen Algorithmus, den man hütet wie die heiligen Gral). Don’t be evil, dieses Motto, muss gar nicht falsch sein. Und tatsächlich ist es so, dass das Unternehmen wirklich revolutionäre Dinge voran treibt. Und wir alle, die wir technologisch begeisterungsfähig sind, verfolgen gebannt und fasziniert, wie das mit Streetview ist. Weil die meisten von uns das total sexy finden, vor dem Rechner zu sitzen, irgend einen Ort der Welt an zu klicken und zu sehen, wie es dort aussieht. Das ist Innovation. Geld schießt nicht nur Tore, sondern macht auch Wunderdinge möglich.

Eine andere Frage, da bin ich ganz Soziologe, ist es, wie sich die Dinge weiterentwickeln, weil die Lego-Spieler und Google Gründer, in eine Rolle hineingewachsen, die ihre eigene Dynamik hat, vom Größenwahn gepackt werden und das „Don’t be evil“ plötzlich nur mehr zynisch verstehen würden. Oder aufgrund von Angriffen Dritter sich zunehmend in ihrer eigenen Wahrheit verbarrikadieren. Und in diesem Falle könnten tatsächlich drei Menschen (neben den beiden noch der Herr Eric Schmidt) den Lauf der Welt entscheidend verändern. Oder: Der Aktienkurs bricht ein. Dann werden plötzlich die Kosten für die Serverfarmen, das Einscannen der Wissens der Welt etc. zu einer Belastung, die nach einem echten Geschäftsmodell rufen. Eines mit „Return on Investment“, nicht nur mit „Wechsel auf die Zukunft“.

Wohlgemerkt, das sind alles Gedankenspiele. Ich will hier niemandem was anhängen. Was ich aber zeigen will, ist, wie sehr die Debatte über die Entwicklung des Netzes im „Hier und Jetzt“ geführt wird. Wer hätte vor 10 Jahren gedacht, dass Microsoft auf einmal nur die Nr. 3 im Rat Race ist? Oder daß AOL (wir erinnern uns), 2001 mit Spielgeld erst Time Warner übernommen hat, Kontent sozusagen und dann 2009, also nur acht Jahre später, von Time Warner wieder verkauft wurde. Times, they ar‘ achainging! Die Dinge verändern sich eben nicht immer langsam, sondern manchmal sehr radikal.

Google, Ausdruck paradiesischer, also geldloser Zustände im Internet, wird seine Vertreibung aus demselben schon noch erleben. Aber wir, die Netizen, wollten ja auch vorab schon mal darüber diskutieren, wie die Welt, sagen wir 2020 aussieht. Und mit welchen Begrifflichkeiten und Vorstellungen wir diese Welt verstehen und ordnen können.

Open Data, Open Source und Kultur Flatrate sind alles ideologische Modelle, die diese paradiesische Zustände sozusagen als Geburtszustand festhalten wollen. Die Menschen arbeiten, weil es ihnen Spaß macht. Sie haben Freude daran, die Dinge mit anderen zu teilen, Know-how zu sharen, weil daraus Neues entsteht. Und sie kümmern sich in diesem Falle nicht darum, womit sie Geld verdienen. Weil sie beispielsweise in ihrem Hauptberuf bei einem der schrecklichen Großunternehmen arbeiten. Oder an Universitäten. Oder sonst wo. Oder weil es, ganz amerikanisch, Spaß macht, erst lange von einer kostenlos-Kultur zu reden, um irgendwann, einmal im Leben, einen echten Deal zu landen, das Geschäft des Lebens zu machen. Und dann tatsächlich nie mehr im Leben arbeiten zu müssen. Das amerikanische Modell von Innovationsförderung, das wir Deutschen, sorry, halt einfach noch nicht begriffen haben, weil bei uns diese Aggregatsveränderungen (Paradiesmodell, Exitstrategie) niemals mitgedacht werden. Und weil es deshalb auch in Deutschland nur wenige Enterpreneure gibt.

Noch ein Wort zu dem vor allem von Grünen geliebten Modell der Kulturflatrate. Ich finde es lobenswert, dass man zu dem Thema ein Gutachten macht. Dass man diese Idee ins Gespräch bringt. Denn das Neue muss in die Welt. Bedenklicher finde ich, wie unreflektiert die Kulturflatrate immer wieder auf Rattenfang geht. Das klingt so schön. Man zahlt einmal. Und dann ist alles für Umme. Aber wir als refektierte Modernisierer wissen doch längst, dass alles was kostet. Und so ist es für uns kein Problem, auch bis zu dem Punkt zu denken, an dem es darum geht, wie die Kulturflatrategelder wieder ausgegeben werden. Und da kommen dann in der irdischen Welt so Dinge wie GEMA ins Gespräch. Hat sich schon einmal ein Mensch Gedanken darüber gemacht, wie das ist, wenn eine Bürokratie ein Bezahlmodell für alle entwickeln will? Oder gar die Politik? Wollen wir das wirklich. Oder soll man da noch das Wort Kopfpauschale und Gesundheitsfonds in die Runde werfen, um die paradiesischen Traumwelten mal etwas zu erden. Die Einführung einer Kultur- oder Musikflatetrate für alle auf Zwangscharakter würde, ganz wie der Gesundheitsfonds, ein Modell etablieren, in der über Funktionäre, kaum kontrollierte Dritte und ähnliche marktferne Teilnehmer, die ihre Entscheidungen nach ganz anderen kurzfristigen Interessen treffen, über die Bezahlung unserer gesamten Kulturwelt entscheiden würden.

Wollen wir das? Nein!

Das Internet ist dabei, die paradiesische Phase der Unschuld zu verlieren. Adam und Eva und auch die beiden Google Gründer Sergey Brin und Larry Page sind dabei, aus diesem Paradies vertrieben zu werden. Dabei dürfte ziemlich egal sein, wodurch diese Vertreibung stattfinden wird. Es hängen zu viele Äpfel am Baum, die dort verlockend winken.

Draußen warten schon ganz andere. Steve Jobs zum Beispiel, der den Zustand paradiesischer Gemeinwohlorientierung schon längst hinter sich gelassen hat. Was, das soll noch hinzu gefügt werden, nicht bedeutet, schon deshalb ein Schurke zu sein. Die Vertreibung aus dem Paradies, soviel scheint klar, führt allerdings dazu, dass wir beim Urteilen über Taten, Vorzüge und Nachteile abzuwägen haben. Was im Falle Apple bedeutet: Über Geräte zu reden, die offensichtlich für viele Menschen (ich gehöre derzeit nicht dazu), kurzfristige Zustände des Glücks auslösen. Zustände übrigens, die, anders als bei anderen Kaufakten in der Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze), nicht von einem übermäßigen Enttäuschungsefühl nach dem Kauf begleitet sind, wenn ich das richtig beurteilen kann.

Steve Jobs und Apple sind in mancher Hinsicht das komplette Gegenteil von Google. Denn, wo bei Google draufsteht, nimm mich, kost‘ nix, müssen wir bei Apple immer erhebliche Summen berappen, die das Geschäftsmodell der 1995 fast pleite gegangenen Firma nur zu schmerzhaft spüren lassen. Jede neue Idee, die von Apple auf den Markt gebracht wird, wird von seinen Fans mit harter Währung bezahlt. Und den Innovationszuschlag müssen die First Mover auch gleich mit finanzieren.

Steve Jobs und Apple (beim Blick in die Zukunft, wie eigentlich ein Apple nach Jobs aussieht, wird mir schon ganz anders) wiederum können wir als Retter der Welt, wie wir sie kennen, betrachten. Denn neben der Sexyness, die den Produkten zugestanden wird, freuen sich auch schon ganz andere über seinen Erfolg. Und manche übrigens freuen sich nur mit einem Teil ihrer selbst.

Zum Beispiel die Content-Industrie. Allem Open-Data-Gerede und Gutmenschentum zum Trotz ist nämlich Steve Jobs derjenige, der die „Alles für umme“-Philosophie der Internet-Päpste mit größter Konsequenz zu Grabe getragen hat. Weil er begriffen hat, dass neben den Netzneards und den virutell-Bastlern auch noch ein erheblich größerer Teil von Menschen existiert, die das Internet einfach nutzen wollen. Denn schließlich küssen selbst ADAC-Funktionäre die Autobahnen, denen sie sich mit größtem Enthusiasmus verschrieben haben, auch nicht jedes Mal, wenn sie sie nutzen wollen. Sie tun es einfach. Und so wird über den iStore eingekauft, Apps installiert, die Apple mit imperialistischen Preisdiktaten durchgesetzt hat, usw. usw. Und das alles zu den Bedingungen des Netzimperialisten Steve Jobs.

Der Frage der Nutzerunschuld nähern wir uns trotzdem wieder. Ist es nicht so, dass sich die Apple User trotzdem als die besseren Menschen fühlen? Dass das Underdog-Feeling aus längst vergangenen Zeiten gemeinsam mit dem wirklich überzeugenden Design, was längst dazu geführt hat, dass Männer nicht mehr über ihre Autos reden (Mein Haus, mein Auto, mein Boot), sondern die neuesten Apps vorführen, was, schon unter ökologischen Gesichtspunkten ein echter Fortschritt ist. So erkennen wir, dass der Wunsch nach paradiesischer Unschuld, der in jedem Menschen weiter existiert, auch durchaus irdische Verbindungen eingehen kann. Schuldig in der Unschuld. Oder unschuldig in der Schuld.

Worauf ich hinweisen will: In der momentanen Debatte über die Zukunft des Netzes reden Unschuldslämmer wie Markus Beckedahl gerne von Netzneutralität, featuren Open-Source und Open-Data. Und das ist auch gut so, weil neue Ideen eine Debatte immer befruchten. Nur sollten wir die neuen Ideen immer wieder mal auf die realen Zustände beziehen. Und ein bißchen kommt es mir dabei so vor, als wenn gerade die deutschen Debattenteilnehmer, quasi vom Tribünenplatz aus darüber reden, wie schön das Spiel ist, das dort unten auf dem Platz getrieben wird. Welche guten Ideen sie hätten, um dieses Spiel noch viel besser zu machen. Und über diese Zuschauerideen reden sie. Ohne tatsächlich mit den Machern zu reden. Und darin liegt das Problem. Alle paradiesischen Zuschauerbertrachtungen aus der deutschen Netz-Community leiden im Sinne des Deutschen Idealismus daran, dass sie auf der Ebene der Ideen verhaftet bleiben. Und dass es erst einen Marx braucht, der dieses Ideen vom Kopf auf die Beine stellt. Und der, Grüß Gott, Globalisierung, auch darüber redet, wie, wenn die Welt auf die Beine gekommen ist, der Deutsche Teil der Welt seinen Wertschöpfungsanteil daran abbekommt.

Meine These: Es gibt keine Unschuld außerhalb des Paradieses. Und wenn, was meine zweite These ist, die Vertreibung aus dem Paradies nun einfach ansteht und die Frage steht, wer in einer künftigen Netzökonomie denn wo und wann sein Geld damit verdient. Und wie die treibenden Kräfte, Entwickler, Journalisten, damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Und wer in Deutschland, Europa und der Welt dieser Entwicklung technisch oder faktisch eigentlich eine Regelung verpassen kann, dann ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, die neuen Ideen von Open alles und Kostenlos mit der Alten Welt der Wertschöpfungsmodelle in Verbindung zu bringen und darüber zu debattieren, wie viel Abschottung und proprietäre Technik man zulässt, damit auch wieder Geld zurück kommt, wie viel Verlust von offenen Standard man akzeptiert, um nicht ein heimliches Google-Monopol zu etablieren, etc etc.

Web 3.0 wird auch eine Phase der Ernüchterung sein. Denn wenn Nutzer tatsächlich nicht wollen, dass ihre Daten von Facebook sozusagen pauschalisiert und hinter ihrem Rücken verhöckert werden, werden sie klären müssen, wie viel Geld sie bereit sind zu zahlen. Für die Politik in globalisierten Zeiten bedeutet das, Allianzen mit der Ökonomie ein zu gehen. Denn wenn es globale Regulierungen nicht gibt (und die Amerikaner werden einen Teufel tun, hier irgend etwas zu regeln, weil sie nach dem Grundsatz „Wem nutzt es“, die Frage bereits beantwortet haben), kann es politisch nur darum gehen, durch Koalitionen Geländegewinne zu erreichen. Das ist schnöde. Und in diesem Spiel kommt dann der Dritte ins Spiel, Microsoft. Wie unsexy. Microsoft, das klingt nach einem Geschäftsmodell (wenngleich Bill Gates als Person sozusagen den umgekehrten Weg geht und über seine Stiftungen, die ernsthaft arbeiten, fast ein bißchen auf dem Weg in das Paradies zurück geht). Diese Firma mit einem digitalen Gemischtwarenladen (Software, Spieleplattform, Handyplattform, alles Märkte in einer hochkompetitiven Phase und alles Märkte, die ihre Impulse von außen, durch neue Trends erhalten) ist, wenn man es unemotional betrachtet, das Unternehmen, dem man inzwischen am meisten „Trust“ entgegenbringen könnte. Weil es jenseits aller Glorifizierung arbeitet. Weil es die exorbitanten Extragewinne durch früherer Monopolstellungen (Office) reduziert hat, weil es gelernt hat, als Unternehmen auch Verantwortung zu übernehmen und dialogbereit zu sein. Weil es in dem Kampf der Giganten, das Unternehmen ist, das eindeutig auf Partnerschaften mit anderen Unternehmen, aber auch mit der Zivilgesellschaft und der Politik angewiesen ist.

So ist Politik in der Web 3.0 Gesellschaft für Deutschland weiteres Stück Angelsachsifizierung des politischen Modells. Es geht nicht mehr darum, eine Netzökonomie in einen Rahmen politischen Handelns einzupassen, sondern es geht, ganz Wilder Westen, darum, die Dynamik der Netzökonomie überhaupt an einigen Punkten in eine Richtung zu bringen. Das sind die Debatten, die in den nächsten Jahren anstehen und es werden spannende Debatten sein. Weil so viel neues in der Welt ist. Weil wir, die Aufgeklärteren, die Faszination des Neuen spüren. Und das nicht nur beim iPhone, dem iPad, sondern ganz unsichtbar in unserem Alltag. Weil in den neuen Entwicklungen ein Riesen-Potential für unsere Gesellschaft stecken könnte (wenn wir Deutschen nicht immer nur über Datenschutz und Privacy reden. Und dann persönlich doch alles machen, was wir nicht sollten). Und weil das schön sein könnte, dieses Potential zu heben. Auch und gerade, wenn damit Geschäftsmodelle aus und in Deutschland damit verbunden sind.

In diesem Sinne kommt auch die Enquetekommission des Deutschen Bundestags zur rechten Zeit. Wir messen sie nicht an den Ergebnissen, sondern an den Debatten. Der Weg ist das Ziel. Und die entscheidende Frage wird sein, ob eine Enquetekommission die Richtung des Wegs in den nächsten Jahren nachhaltig beeinflussen kann.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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