Grüne Stärken. Und einige Herausforderungen für 2013 und danach.

Mit einem erstklassigen Wahlergebnis, so schreibt Matthias Geis in der Zeit 1/2013 nicht zu Unrecht, werden die GRÜNEN bei der Bundestagswahl abschneiden. Ob und wie grüne Politik zur Umsetzung kommt, ist nicht abzusehen. Rot schwächelt, Grün lächelt (wenngleich etwas angesäuert), auf den Nenner könnte man es im Monat Eins nach der Inthronisierung Steinbrücks bringen.

Die grüne Stärke ist keine konjunkturelle Erscheinung, sie hat System. Jetzt zahlt sich jahrzehntelange lernende Beharrlichkeit aus. Für die BürgerInnen stellt sich das so dar: Auch, wenn alle anderen anderer Meinung sind, hat sich die grüne Position doch erstaunlich oft durchgesetzt. Und zwar nicht, weil große grüne Egos sich auf dem Markt der Meinungen behauptet haben. Sondern, weil aus Hypothesen Tatsachen wurden. Bei der Atomenergie, beim Klimawandel, im Umgang mit den Lebensformen.

Auf dem Weg dorthin stand Grün unter gnadenlosem Rechtfertigungsdruck. Ich nenne das die Gnade der harten Adoleszens: Unter dem hohen Druck der Außenwelt wurden Wahrnehmungen verteidigt, konkretisiert, revidiert und präzisiert. Im Austausch mit einem sich parallel entwickelnden gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Umfeldes.

Vor diesem Hintergrund ist die baden-württembergische Regierungsverantwortung Ausdruck struktureller Verschiebungen in der Gesellschaft und glückliche Fügung zugleich. „Grüne“ Weltsicht hat das Potential zur Mehrheitsfähigkeit. Was den nicht verwundert, der sich bereits länger mit den tektonischen Verschiebungen unserer Gesellschaft beschäftigt. Letztlich besteht die grüne Weltsicht darin, 1) Politik von der Zukunft her zu denken und 2) die gesellschaftliche Realität unideologisch wahrzunehmen. Zukunft, das sind globale Entwicklungen, Klimawandel, Ressourcenknappheit. Unideologische Realitätswahrnehmung, damit meine ich die Fragen der Ungleichheit von Lebenschancen (Mann/Frau, Einwanderer, Sexuelle Orientierung) und der Neuordnung gesellschaftlichen Zusammenhalts (Patchwork neben lebenslangem Eheversprechen). Zusammen resultiert daraus die Agenda aktueller Politik.

Der Glücksfall Winfried Kretschmann ermöglicht es nun einer breiten Öffentlichkeit, ihren
Wunsch nach Orientierung und ihr Wissen um Unsicherheit zusammen zu bringen. Orientierung in Unsicherheit. Sein unbefangener Umgang mit seinen reichhaltigen und reichlich widersprüchlichen Erfahrungen schafft Vertrauen, weil er, wie übrigens auch Angela Merkel, das Gegenbild zu den glatten Politikerbiographien von Guttenberg oder Röttgens darstellt.

Das kommt gut an.

Die Geschichte der Grünen ist die Geschichte des Managements komplexer Realität. Dabei haben mitgespielt: Starke Persönlichkeiten, ein selbstbewusstes Umfeld, realitätsadäquate Wahrnehmung und rigorose, wenngleich gelockerte Organisationsformen. Zuweilen auch gegen die Erwartung der Akteure, wie der Ausgang der Urabstimmung über die Spitzenkandidaten gezeigt hat.

Die Grünen, eine Partei wie unsere Zeit, eine Partei im Fluß und im Umbruch. Soweit zur Stärke.

Und die Herausforderungen? Ich will einige nennen:

Die politische Entwicklungsgeschichte fortschreiben

Die Grünen sind eine lernende Partei. Von der Protest über Ein-Punkt- und Konzept- hin zur realpolitischen Umsetzungspartei haben Grüne Erfahrungen gesammelt, akkumuliert, relativiert und mit neueren Erfahrungen und in neuen Szenarien konsolidiert. Dieser reflexive Umgang mit den eigenen Erfahrungen schafft einen starken Hintergrund. Der weiter unter Veränderungsdruck bleibt.

Es gilt, die programmatische Entwicklungsgeschichte unter den Rahmenbedingungen großer technologischer und globaler Umbrüche fortzuschreiben. Neu ist, dass plötzlich alle Parteien (fast) alle dasselbe wollen: Gleichberechtigung der Geschlechter, sozial ausgewogene Rahmenbedingungen, gesellschaftliche Teilhabe, regenerative Energien, globale Entwicklungschancen. Das Alleinstellungsmerkmal ist weg. Vor diesem Hintergrund lassen sich bisherige Erfahrungen nicht einfach fortschreiben. Wenn die Bundesregierung jetzt die früheren grünen energiepolitischen Zielsetzungen übernimmt, liegt die grüne Neupositionierung nicht einfach in einer weiteren Anhebung der Ziele. Vielmehr geht es darum, die richtigen Leitplanken für die Energiewende zu definieren, Energiewende als gesamtgesellschaftlichen Prozess zu begreifen und Sozialverträglichkeit ebenso wie Effizienz und Effektivität mit zu denken. Es zählt die Tat, nicht (nur) das Konzept.

Politische Eigenständigkeit konturieren

Sind Grüne eine linke Partei? Jein. Der Anspruch der Partei der Aktivbürger ist es, einen fairen Rahmen für Gesellschaft zu definieren. Was hält unsere Gesellschaft zusammen? Wo kann der Rahmen neu gesetzt werden? Wie werden Anreize geschaffen, Profit und richtige Ziele zusammen zu bringen? Wie gelingt es, die Mehrheit der Bürgerinnnen und Bürger für eine ethisch, nicht vorrangig monetär motivierte Gesellschaft zu gewinnen? Wie gelingt es, auch unter der Einkommenselite Unterstützung und Akzeptanz für Begrenzung und Verzicht zu aktivieren? Denn wenn die notwendigen Eindämmungen von Exzessivgehältern mit dem flächendeckenden Umverteilungsgestus geführt werden, ist die Schlacht bereits verloren. Und: Ein neues grünes Gesellschaftskonzept fällt nicht vom Himmel, es wird seine Konturen eher nach dem Trial and Error Prinzip gewinnen.

Was Grün gelernt hat: Selbstbewusstsein beginnt damit, sich seiner selbst bewußt zu sein, die eigene Wahrnehmung der Wirklichkeit ernst zu nehmen. Und neue Erkenntnisse dazu kommen, diese zu überprüfen, zu ergänzen und auszubauen. Das Schielen nach Mehrheitsverhältnissen gehört sicher dazu, aber das dominierende und übereifrig stilisierende Koalitions- und Farbenspiel sind ein zweiter Schritt. Zuerst geh es darum, zu klären, welche Themen und welche Zielsetzungen vorrangig sind. Das interessiert die Menschen (die, die nicht in den Talkshows sitzen, sondern maximal zusehen), nicht das Klein-Klein auf der Berliner Alltagsbühne.

Die klassische politische Farbenlehre greift nicht mehr. Klar, bei der anstehenden Wahl geht es darum, diese Regierung der Ziel- und Planlosigkeit abzulösen. Entscheidend ist aber, grüne Prioritäten während des Wahlkampfs zu verankern und von Regierungskonstellationen unabhängig zu definieren. Machbare Prioritäten und Projekte.

Den Dialog mit der Zivilgesellschaft konstitutiv sehen

Und schließlich: Politiker haben die Weisheit nicht mit den Löffeln gefressen. Deswegen ist der gesellschaftliche Dialog konstitutiv für grünes Politikverständnis, um schneller wahrzunehmen, was sich an neuen Fragestellungen auftut. Die vielbeschworene Politik des Zuhörens (Winfried Kretschmann) bedeutet aber weder Wählern, noch Lobbyisten nach dem Munde reden. Politik des Zuhörens und des Standhaltens, das bedeutet zu lernen, Wichtiges und Gewichtiges von anderem zu unterscheiden. Für Parteien dürfte gelten: Wer nicht länger nur Parteigremien als Quellen der Erkenntnis betrachtet, ist schneller, ist besser. Neue Medien, neue Partizipations- und Beteiligungsformen sind ein Mittel dazu. Die Open Society ist qua Globalisierung Realität geworden. Offene Parteien sind eine naheliegende Konsequenz.

Die richtige Taktik zur richtigen Zeit einsetzen

Erfolgreiche Politik bedeutet, die gesamte Palette politischer Handlungsweisen nutzen zu können. Die richtige Taktik zur richtigen Zeit. Skandalisieren und thematisieren, wo grundsätzliche Korrekturen notwendig sind. Zuhören, diskutieren und konzipieren, um nach dem Agendasetting auch die richtigen Konzepte und Roadmaps zu entwickeln und wichtige Mitstreiter zu gewinnen. Und dann Politik machen und implementieren, flexibel und reflexiv, mit Bürgerinnen und Bürger gemeinsam und umsichtig, um Fehlentwicklungen, Blockaden und Übersteuerungen korrigieren zu können.

Die Phantasie der politischen Öffentlichkeit stimulieren

An großen neuen grünen Ideen mangelt es derzeit. Es fehlen Schlagworte und Ansätze, die über das Heute hinausführen. Ich nenne ein paar Stichworte der Vergangenheit: „Mit grünen Konzepten schwarze Zahlen schreiben“, Energiewende, der Grüne Gesellschaftsvertrag, Green New Deal. Oder ein Oswald Metzger, der quergeschossen hat und damit sichtbar gemacht hat, dass Grüne auch rechnen können. Ist die Pipeline konzeptioneller, nicht sachpolitischer Einzelkonzepte noch gut gefüllt? Wie kommt das Neue für die Wählerinnen und Wähler sichtbar in die Welt? Wie ist finanzielle Absicherung in unsicheren Zeiten zu gewährleisten?

Oder auch: Wie lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen Eigennutz und Gemeinsinn neu beleben? Die Allmende-Diskussion ist noch zu sehr eine Diskussion unter Spezialisten. Wie steht es mit Rahmenbedingungen für Unternehmen/ Genossenschaften mit gesellschaftlichem Anspruch. Ethical Economics oder so? Was sind neue grüne Ideen für Neues MACHEN? Nicht von obern herab, sondern aus der Gesellschaft heraus?

Administrative WoManPower bilden

Wer soll das alles ändern? Die Frage stellt sich plötzlich ganz neu. Welche Menschen können neuen Ideen administrativen Flankenschutz geben, wagen die Mühen administrativer Ebenen und bewältigen sie auch erfolgreich.

Eigene ideologische Verfestigungen überwinden lernen

Und dann: Wenn grüne Ideen jetzt in der Mitte der Gesellschaft ankommen, stellt sich die umgekehrte Frage: Welche neuen Herausforderungen kommen bei den Grünen an, sollten bei den Grünen ankommen. Ich beobachte einen neuen Unternehmer- und Gründergeist, in Berlin, in Deutschland. Wie kann es gelingen, weltweites Kapital für Startups, Forschungs- und Etnwicklungsinvestitionen für Deutschland zu gewinnen? Small is beautiful, aber wirklich immer? Ist, beispielsweise, ökologischer Landbau tatsächlich immer die Lösung aller Probleme? In der FAZ von heute (4.1.2013) ist zu lesen, Qatar plant, im großen Stil Landwirtschaft im Trockenfeldbau zu entwickeln. Technologie- und Innovationsfreundlichkeit ist wesentlich für den Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland. Nachhaltig und vernetzt zu denken bedeutet oftmals, die Bedenken in den Mittelpunkt zu stellen. Wie können Grüne Forschungs-, Entwicklungs-, den deutschen Ingenieursgeist stimulieren? Wie sieht eine investitionsfreundliche und verantwortliche Politik aus, die die sich abzeichnende Wissens- und Innovationsexplosion auch in Deutschland zünden lässt? Wann sind Großprojekte sinnvoll?

Das sind keine drängenden Fragen, aber anstehende. ….

Die Innovationskraft eines privatwirtschaftlichen Google-Konzern, dem die Rolle nicht in die Wiege gelegt war, warum entstehen solche Meilensteine der Innovation nicht in Deutschland und Europa? Sondern nur „Großprojekte“ wie Stuttgart 21, der Berliner Flughafen und die Hamburger Elbphilharmonie, Trauerspiele gesellschaftlicher Planung. Hätte Grün darauf eine Antwort, die weiter als das Nein zu den überflüssigen Großbaustellen geht?

2013 wird grün. Aber wir sollten deshalb 2014 und 15 nicht aus dem Auge verlieren.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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