Euro-Rettung, Teil 324

Am 11. und 12. Juni entscheidet das Bundesverfassungsgericht auf Klage von Gauweiler und anderen über die Rahmenbedingungen der Eurorettung. Schon im Vorfeld laufen die Diskussionen warm, EZB gegen Bundesbank, die Debatte zwischen Dennis Snower und Lucke hat eine Qualität, wie ich sie in deutschen Medien schon lange nicht mehr gesehen habe.

Warum gelingt es den etablierten Parteien, einschließlich den Grünen nicht, den Meinungsstreit über den richtigen Weg aus der Eurokrise sachlich, aber kontrovers zu führen? Ist der Gegenstand zu komplex für eine gesellschaftliche Debatte? Ich glaube das nicht. Ein erster Versuch.

Worum geht es bei der Eurorettung?

Der Euro, das war der Versuch, über eine Einheitswährung das kollektive Gefühl von Gemeinsamkeit herzustellen und die Regierungen Europas dabei zu unterstützen, ihre Länder im Weltmaßstab wettbewerbsfähig zu machen.

Ob das gelungen ist? Interessanterweise wird diese Zwischenbilanz in der Debatte weitgehend ausgeblendet. Medial dominiert der Eindruck, diese Idee hätte versagt. Europäisches Geld wurde über manchen Ländern einfach ausgekippt, die Institutionen, die eine sachlich richtige Steuerung der Finanzmittel hätte leisten können, fehlte. Beispiel Spanien: Das Geld floß vor allem in Infrastrukturmaßnahmen betonierter Art. So hat Spanien die besten Autobahnen Europas, braucht sie aber nicht. Jeder der spanischen Provinzfürsten schüttete das Geld über seiner Region aus, die Beispiele sinnloser Flughäfen, Valencia war das, glaube ich, in der sich der Verantwortliche auch noch ein Denkmal bauen lies, bevor er in den Knast wanderte, spricht Bände. Um es auf den Punkt zu bringen: Spanien hat seine Zukunft in Beton gegossen, dazu hat es massenweise junge Menschen aus dem Bildungssystem auf den Bau gezogen. Mit der Folge, dass Spanien jetzt darniederliegt, die jungen Menschen zu 50% arbeitslos und ungebildet sind. Kein Zukunftsprogramm.

Deutschland hat von diesen Subventionen übrigens, das darf man nicht übersehen, in ganz unterschiedlicher Weise profitiert. Als Investitionsgüterhersteller und Infrastrukturlieferant ist auch der europäische Markt eines der Konjunkturfeuer gewesen. Allerdings haben die deutschen Unternehmen sich auch auf die weitaus attraktiveren außereuropäischen Länder konzentiert, so dass der deutsche Aufschwung, durch die Politik mit Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Lohnzurückhaltung unterstützt, stabil und aus der eigenen Substanz geleistet wurde.

SPD und Grüne fordern in dieser Situation mehr Solidarität mit den südlichen Ländern. Klingt fair, ist es aber nicht. Weil man Solidarität nur mit jemandem haben kann, der selber will. In vielen europäischen Ländern ist das aber nicht der Fall. Die Governance-Struktur der Länder stimmt nicht. In Griechenland nicht, weil, zumindest aus deutscher Wahrnehmung, überhaupt keine Idee vorhanden ist, wie sich das Land wieder selbst aufrichten wil, in Italien blutet eine eigentlich leistungsfähige norditalienische Industrie in einem Land aus, das unfähig ist, eine halbwegs realistische Selbstwahrnehmung zu entwickeln, in Spanien nicht, in dem es offensichtlich nicht gelingt, das Land zu führen und die wichtigsten Probleme (Qualifizierte Abschlüsse und Arbeit für junge Menschen) zu adressieren. Und Frankreich träumt seinen Traum imperialer Stärke und der Globalsteuerung von Politik und Wirtschaft. Weil die ganze Elite dort in dieselben Schulen ging, lügen sie sich gegenseitig in die Tasche und fimden keinen Ausweg aus der französischen Binnensicht. Einzig Portugal scheint sich auf den Weg zu machen, jedenfalls hört man von dort nichts skandalträchtiges. Interessanterweise scheint England da auf einem harten, aber wenigstens realitätsbezogeneren Weg. Weshalb es dem Premier ja nicht gelingt, die eigenen Reihen zu schließen. Offensichtlich ist es in der Politik so, dass die Alternative, wenn es hart auf hart kommt, ist, entweder die Binnensicht konsistent machen, aber die Realität aus den Augen zu verlieren. Oder eben die Debatten intern kontrovers, das heißt realitätsbezogen, zu führen, dafür aber die Vorherrschaft über das Land zu verlieren.

Angela Merkels Alternative zur rotgrünen Solidaritätsforderung lautet „Durchwursteln“. Diese Alternative ist nicht so unattraktiv, wie es scheint. Auch wenn sie teuer ist. Deutschland hat nämlich eine Doppelrolle. Einmal muss es als größter Nettozahler natürlich die eigenen Interessen wahren, auf Reformstrukturen in den anderen Ländern drängen. Das macht Deutschland automatisch zum Gegenpart der südeuropäischen Länder. Zum anderen ist Deutschland aber auch der Entscheider. Nur wenn die Deutschen zustimmen, gibt es eine Lösung. Und so erscheint das regelmäßig als Wackeln der Regierung, wenn erst auf harten Forderungen beharrt wird, um irgendwann dann doch nicht so harten Kompromissen zuzustimmen.

Trotz dieser durchaus unterschiedlichen Sichtweise agiert das Parlament weitgehend konsensuell. Ja, aber. …. Und immer mit der gemeisamen Selbstbeschwörung, wer nicht für den Euro ist ist gegen Europa. Die Alternative dazu wäre aber, die Debatte erstmal aufmachen. Hätte man das früher gemacht, wäre es nicht zur Alternative für Deutschland gekommen. Weil man das Nachdenken auch in den eigenen Reihen hätte organisieren können.

Fangen wir also an: Was ist Europa? Und welche Möglichkeiten zur Rettung Europas hätten wir. Oder, was retten wir, wenn wir auf welchem Weg Europa retten wollen.

Europa, das ist eine Region der Vielfalt, die sich nach blutigen Auseinandersetzungen als Partner arrangiert hat. Europa, das heißt, große individuelle Freiheiten, wirtschaftliche Freiheiten, politische Freiheiten, sich als Bürgerschaft selbst zu regieren. Als soziale Gemeinschaft, indem jedes Land gewisse Grundsicherheiten einzieht. Europa, das heißt auch, ein großer Verbund von Wissenschaft und Forschung, nicht so schlagkräftig wie die amerikanische Alternative, aber in der Breite doch vorzeigbar.

Europa ist aber auch eine Region, das in der Nachkriegsphase (für Deutschland), in den vergangenen 10-15 Jahren, für einige der südeuropäischen Länder, Griechenland, Spanien, Portugal, die über lange Jahre ja noch Diktaturen waren, aufgeblüht sind. Jetzt wisssen wir, ein Teil der Blüten waren Scheinblüten. Und weil sich die Länder in den vergangenen Jahren so entwickelt haben, hat das Europa auch etwas träge gemacht.

Institutionell ist Europa überorganisiert. Es ist für jeden Politiker immer einfacher zu erklären, dass er nicht schuld war, als Veantwortung zu übernehmen, Risiken für sich selbst zu übernehmen und den harten Weg zu gehen, das Steuer im eigenen Land herumzureisen. Auch wenn es ihn selbst dann wegspült von der Spitze.

Wenn wir jetzt den Euro retten wollen, steckt also mehr dahinter. Im Grunde steckt hinter der Eurorettungsdebatte eine paradigmatische Debatte: Die Einen sind der Meinung, Reden und Großmut gegenüber dem anderen ist der richtige Weg, weil man durch das Hilfsangebot die Bereitschaft herstellt, über sich selbst und den Beitrag zum Versagen nachzudenken und entscheidende Schritte zu tun. Die anderen meinen, erst müssen die innere Bereitschaft vorhanden sein, Verantwortung zu übernehmen, bevor es Sinn macht, weiter Geld zu investieren.

Persönlich steckt dahinter aber auch für jeden Politiker die Frage, ob er selbst Verantwortung übernehmen will, dem eigenen Land reinen Wein einzuschenken und einen Rahmen für eine künftig positive Entwicklung zu stecken (die das tiefe Tal der Tränen zuvor einschließt). Oder eben nicht. Die Politiker aller Länder haben sich entschieden, erst mal keine Verantwortung zu übernehmen. In Deutschland stellt sich das anders dar, weil die relative Position, auch dank rotgrün, eine andere ist.

Wer Europa erhalten will, muss über verschiedene Weg debattieren, die Wertegemeinschaft zu erhalten, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu steigern, nachdem er die in den öffentlichen Bilanzen angehäuften Unwerte, die Bad Banks der Welt, entsorgt hat. Das wäre eigentlich die nüchterne Auftragsbeschreibung für die Politik. Wie können wir die europäische Wertegemeinschaft erneuern und die Leistungskraft steigern. Und wie gehen wir mit den Luftbuchungsnummern in unseren Leistungsbilanzen um, nachdem uns die Zocker aller Kontinente ihre Nichtwerte in unsere Bücher geschrieben haben.

Und in der politischen Debatte sehe ich keinen Beitrag, der dieses Dreieck thematisiert: Wie vermeiden wir den finanzpolitischen Crash. Wie vermeiden wir, dass uns der ganze Laden auseinander fliegt. Und wie kriegen wir die Leistungsfähigkeit jeder einzelnen Volkswirtschaft wieder zum Laufen.

Das macht die Debatte zwischen Snower und Lucke eben interessant. Sie entwickeln Szenarien. Als Leser kann man sich dadurch ein Bild davon machen, was es bedeuten würde, wenn, hier hat sich Lucke ja schon revidiert, die südeuropäischen Länder eine Zweitwährung einführen würden. Der große Vorteil: Die Regierungen wären gezwungen, Verantwortung zu übernehmen. Das Risiko: Es könnte der ganze europäische Laden auseinander fliegen mit einer Sauwut auf Deutschland, das Projekt Europa stünde infrage. Und auch zu berücksichtigen: In irgendeiner Form muss die Entscheidung eine europäische Entscheidung sein, sonst gibt es einen finanzpolitischen und wirtschaftlichen Showdown. Das alles macht den Entscheidungskorridor schon sehr eng.

Die von Snower geforderte atmende Fiskalregel ist ein Weg, den zu debattieren lohnt. Auch wenn es den europäischen Politikern bestätigt, dass sie nur für den Fall der Zuwachsverteilung eine adäquate Regierungsform darstellen. Eine solche Fiskalregel wäre eine Art Entmächtigungsgesetz, weil es automatische Mechanismen in Gang setzen würde, die das nationale politische Framing tatsächlich verändert.

Ob diese Option tatsächlich funktionieren würde? Am 11. und 12. Juni tagt das Bundesverfassungsgericht. Vielleicht ist dann wieder mal alles anders. Gut wäre es auf jeden Fall, wenn sich die Politik dann eine Auszeit zum Nachdenken nehmen würde. Streit ja, aber über die richtigen Fragen. Über mittelfristige Werte, darüber, was das für jedes Land, aber auch für jeden von uns bedeuten würde. Dann könnte Wahlkampf auch richtig interessant werden.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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