Die Wucherungen einer Behörde

Die Bundesbildungschipkarte ist so ein Ding, das ich mir jetzt schon die ganze Zeit ganz ungläubig ansehe. Denn im Grunde würde ich Frau von der Leyen, den Erfolg schon gönnen, schließlich führt sie ihr Ministerium in respektabler Weise. Aber konzeptionell bleiben da schon einige Fragen offen, sonst wird aus Hartz IV von der Leyen I. Einige Spekulationen.

Wir fassen das Konzept zusammen: Die Hartz IV-Familien kriegen mehr Ressourcen für die Bildung ihrer Kinder. Damit sie das Geld nicht versaufen (man versteht die Dinge einfach besser, wenn man die Klischees beim Namen nennt), wird aber nix bar ausgezahlt, sondern das Ganze kommt auf die Chipkarte. Aber auch da wird nicht alles auf eine Karte gesetzt, sondern das Ganze in verschiedene Segmente geteilt. Damit das Ganze steuerbar bleibt.

Ist das ein gutes Konzept? Ausnahmsweise halte ich es mit der Linkspartei und sage: Nein! Wenngleich aus anderen Gründen.

Was spricht gegen die Bundesbildungschipkarte?

1) Die Übersteuerung. Der Zentralstaat maßt sich an, entscheiden zu können, was die richtige Entscheidung für den Einzelnen ist.

2) Der Aufwand: Wie viele Millionen müssten in die Infrastruktur einer Karte investiert werden? Bei den Ärzten hat es bis heute nicht geklappt, die Chipkarteninfrastruktur einzuführen. Es ist nicht abzusehen, warum es in diesem Felde besser klappen sollte.

3) Der Größenwahn einer Bundesagentur für Arbeit als Bundesjugendamt. Wer die Bundesagentur, die größte Deutsche Bundesbehörde, kennt, der weiß, dass sie schon im Arbeitsmarktbereich keine wirkliche Breratung leisten kann. Weil sie Behörde ist. Weil sie so tut, als ob sie wüsste, was der Klient braucht. Und doch als Gesamtbehörde gar keine Ahnung von der Situation des Einzelnen am Arbeitsmarkt hat. Zudem ist die Vermischung von Leistungsabgabe und Beratung eine ganze fatale, auch wenn die beiden Fragen formal getrennt werden. Der Aufbau von mehr Bürokratie führt zu der Frage, ob der Verwaltungsaufwand auch zu mehr Leistungseffizienz führen könnte. Da bleibt zumindest Skepsis.

4) Die weitere Vermischung der Ebenen. Der Geschäftsführer des Städtetags hat Recht. Es geht nicht an, dass die Bundesebene wieder einmal die Definitionshoheit der Kommunen aushölt. Nur weil die Ministerin PR-Erfolge braucht. Nur, weil sie nicht zusehen kann, dass manche Dinge einfach falsch laufen (und nicht erkennt, dass sie zwar anders laufen würden, wenn sie ihre Chipkarte durchkriegt, aber nicht besser).

5) Weil die Frage zu einem weiteren Selbstläufer wird. Einem Selbstläufer des Größenwahns der Politik. FAZ vom 20.8.20110, S. 9:

„An diesem Freitag wird von der Leyen die Reform mit den Landesarbeits- und -kultusministern, kommunalen Spitzenverbänden und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) diskutieren. „Wir müssen auch die Frage beantworten, wie wir Kinder unterstützen können, deren Eltern knapp oberhalb des Regelsatzes verdienen, die aber ähnliche schulische Probleme wie Hartz-IV-Kinder haben können“, sagte von der Leyen während eines Redaktionsbesuchs dieser Zeitung. Für solche Hilfen könnten jenseits des Geldes vom Bund weitere öffentliche und private Quellen erschlossen werden, mit denen Chipkarten gefüllt würden.“

Es geht also immer um das „noch mehr drauflegen“, noch mehr Gerechtigkeit durch Umverteilung, nicht durch Rahmenänderung. Und damit noch mehr Bürokratie.

Das zentrale Argument gegen eine Chipkarte ist allerdings folgendes: Sie formuuliert weiterhin die Idee von sozialer Gerechigkeit. Und die kann es nicht geben. Erst wenn die deutsche Politik es schafft, diesen fatalen Selbstlauf, es könne noch mehr soziale Gerechtigkeit geben durch einen umverteilenden Sozialstaat, erst wenn sie diese Selbstüberschätzung stoppt, kann sie eine neue Diskussion um effiziente Sozialpolitik beginnen. Und die bedeutet, auch darüber nach zu denken, ob nicht weniger Bürokratie, weniger zentrale Beurteilung, besser wäre, weil es Gerechtigkeit ohnehin nicht geben kann. Sondern höchstens Absicherungsflanken. Die Hauptlast bei der Beschaffung des Lebensunterhalts hat der Einzelne. Diese Aufgabe kann der Sozialstaat dem Einzelnen nicht abnehmen. Und es wird, ob wir wollen oder nicht, Abstürze geben, Menschen, die verhungern, ausgegrenzt werden, menschenunwürdig leben. usw. Unabhängig davon, ob wir Sozialstaat haben oder nicht. Leben ist ein Risiko. Und die Politik sollte sich auch einmal selbst eingestehen, dass sie das Risiko dem Einzelnen nicht abnehmen kann. Dann hätten alle ein weniger schlechtes Gewissen bei der Diskussion. Und könnten sich mehr der Frage zuwenden, ob die vorgeschlagene Lösung denn tatsächlich zweckdienlich ist.

Damit nicht aus Hartz IV von der Leyen I wird. Oder noch schlimmer.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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