Die große Abrechnung. Warum Jürgen Trittins neues Buch „Stillstand. Made in Germany“ ein Rückschritt ist.

Die Zeit der Alten bei den Grünen ist unwiderruflich vorbei. Und leider, muss man sagen, bleibt Jürgen Trittin seiner bei der Bundestagswahl eingeschlagenen Abseitsstrategie auch theoretisch treu. Man hätte sich vom klügsten der Grünstrategien mehr erhofft.

5 Gründe, warum das Buch sein Geld nicht wert ist

Der Ton: In schlechten Tagen hat Trittin, obwohl eigentlich persönlich einer der umgänglichsten unter den Spitzenpolitikern, in Talkshows arrogant rumgerotzt. Jetzt hat er gezeigt: Er kann das auch schriftlich.

Es gibt Alternativen: Gerhard Schick hat mit seiner Machtwirtschaft ein sehr gut lesbares Buch zu den relevanten Fragen unserer Zeit geschrieben, das der Komplexität der Lage angemessen ist. Und das auch auf klare Worte nicht verzichtet.

Der ökologische Materialismus. Trittins Leitgedanke folgt der Idee, dass man die Industrie politisch peitschen muss, damit sie sich in die richtige Richtung bewegt. Der Verbraucher ist in diesem dichotomischen Weltbild das arme Opfer. Klare Kante ist manchmal gut, aber wenn der einzige Gegner Industrie heisst, die Bürgerinnen zu armen Opfern stilisiert werden, die (grüne) Politik immer recht hat und die Peitsche zum einzigen Mittel der Politik erkoren wird, ist wohl was falsch gelaufen.

Die fehlende Reflexivität. Das Buch ist ein einziges „Weiter So“. Die ökologische Transformation, so beschwört er, braucht das ständig getrieben sein von der Politik. Auch wenn Trittin die richtigen Schlagworte nennt, zB., dass die linke Mehrheit verloren gegangen ist, zieht er daraus keine Konsequenzen. Dunkle Mächte wirken im Hintergrund. Dass eine Energiewende noch keinen Sommer macht, dass eine Gesellschaft, die alles Notwendige anschubsubventionieren muss (wenn sie, wie bei der CO2-Abgabe europäisch ausgebremst wird), dass es Umsetzungsprobleme gibt, wenn ständig neue und aufgeregte, wahlkampforienierte Impulse die Märkte kaputtmachen, das alles ist ihm keinen einzigen Gedanken wert. Und wieviel teurer Mist produziert wird, weil Politik, beschäftigt mit dem Aushandeln von Kompromissen und bemüht, ihr Gesicht nicht zu verlieren, oftmals den Überblick verliert. Wohlgemerkt: Jürgen Trittin war ein hervorragender Minister, er war transparent und scharf, er hat gezeigt, dass er tut, was er sagt (z.B. beim Dosenpfand). Aber dass bei Dosenpfand und Mehrweggesetzgebung dieses absurde Abgabensystem herauskam, mit dem letztlich niemand mehr glücklich ist (ausser die Kunststoffindustrie, die Handelskonzerne, die die nichteingelösten Pfandzahlungen einstreichen), kein Wort darüber. Das hat nicht Trittin verbockt, aber es zeigt den Lauf der Dinge, wenn sie politisch gesteuert werden.

Die arrogant wutgesteuerte Perspektivlosigkeit. Die Grünen haben die politischen Weichen in vielen Themen neu gestellt. Um im Bild zu bleiben: Jetzt müssen die Züge auch mal fahren, sonst kommt das Ganze nicht in Schwung. Politisch sind im Moment ganz andere Debatten angesagt: Was sind Demokratie und Freiheit noch wert, wenn sie nur das trojanische Pferd von Marktöffnungsstrategien sind, die nach Belieben hochgehalten werden, wenn es DIE ANDEREN betrifft. Wie werden Meinungsfreiheit, Menschenrechte und Demokratie wieder zu Idealen, wenn global Oligarchen und der totalitäre totalitäre Kampfislamismus auf dem Vormarsch sind. Und an beidem der Westen nicht schuldlos ist.

All diese Fragen werden bei Jürgen Trittin nicht gestellt. Und so erinnert mich dieses Buch an die Wahlkampagne der Grünen nach der deutschen Wiedervereinigung: Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter. Es interessiert derzeit niemanden! Ja, die Klimafrage ist noch nicht gelöst, aber mit dem Fünf vor zwölf Gerede ist es wie mit den dauernden Klimakonferenzen: Bewegung wird nur kommen, wenn alle ihre Schützengräben verlassen.

Schade, Jürgen, die neue grüne Führungsgeneration hätte ein paar, gerne auch scharfe Impulse gebrauchen können. Stattdessen ist es die Philippika von Jürgen Trittin geworden. Ein Wutschrei aus der Abseitsfalle!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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