Der Fluch politischer Macht. Jetzt wird die Blase chinesisch.

Von wegen „Staat rettet Wirtschaft“. Nüchtern betrachtet kann selbst der chinesische Staat die Wirtschaft nicht retten, sondern nur einen Aufschub ermöglichen. Ja, und gegen 24%igen Exporteinbruch ist jede Politik ohnmächtig. So muss man jetzt auch beim chinesischen Patienten darüber nachdenken, ob zentrale Steuerung nicht das Problem grösser macht als kleiner. Weil frühzeitige Kapazitätsanpassungen verhindert werden und sich so erst große Investitionsblasen aufschaukeln können.

Die Geschichte dahinter aus dem Handelsblatt

Die Angst vor der Abwärtsspirale

Während der Export zurückgeht, springt der Staat mit frischem Geld ein – doch dem Hoffnungsträger aus Fernost droht die Luft auszugehen.

Finn Mayer-Kuckuk | Peking | Montag, 14. Oktober 2013, 06:00 Uhr

Immer noch rattern in China unablässig die Fließbänder in den Fabriken, immer noch verlassen abertausende Produkte die Werke. Nur: immer seltener werden sie von Kunden außerhalb der Volksrepublik gekauft – also türmen sie sich im Land. Ökonomen nehmen die steigenden Überkapazitäten und den Trend zu sinkenden Exporten des Schwellenlandes sehr ernst. Im September sind die Ausfuhren im Monatsvergleich um 24 Prozent gefallen, zeigen Daten der Zollbehörde vom Wochenende. „Die Exporte lagen weit unter den Erwartungen“, kommentiert Yu Song von Goldman Sachs in Peking.

Der Absatz ins Ausland ist für China ein wichtiger Träger der Konjunktur. Denn die Industrie des Landes hat in den vergangenen Jahren paradoxerweise noch einmal kräftig in neue Fabriken und Maschinen investiert, obwohl die Nachfrage gleichzeitig zurückgegangen ist. Diese Kapazitäten sind nun viel zu gering ausgelastet. Ein Beispiel ist die chinesische Solarbranche, die zweimal mehr Zellen herstellen könnte, als weltweit Bedarf besteht.

Wenn der Export nun noch weiter sinkt, kann ein höherer Anteil der betreffenden Unternehmen ihre zum Teil bereits sehr hohen Schulden nicht zurückzahlen. Dann wiederum droht eine Abwärtsspirale: Die Banken reagieren auf eine steigende Zahl fauler Kredite damit, dass sie geizig werden und Darlehen nicht erneut verlängern. Das wiederum treibt mehr Firmen in die Pleite. „Die chinesische Industrie hat ihre Möglichkeiten überstreckt und viel zu hohe Schulden gemacht“, urteilt ein deutscher Manager in Peking, der die Lage im Land gut kennt. Nach einem Schuldenboom in den vergangenen Jahren sei eine Korrektur praktisch unausweichlich.

Die Lage in China ist zwar grundsätzlich stabiler als die in Europa oder in Amerika. Die Regierung ist bisher nur wenig verschuldet und das Finanzsystem hat grundsätzlich eine simple und dadurch weniger störungsanfällige Architektur. Doch China bereitet gerade aus diesem Grund Sorge: Während die Krisen in den USA und der EU sich fortsetzen, wirkt das Wachstumsland bisher als Anker der Weltwirtschaft. Es handelt sich beispielsweise um Deutschlands größten Handelspartner außerhalb der Eurozone. Ein tiefer Durchhänger Chinas nach dem Kreditboom würde die Probleme der westlichen Länder deutlich verschärfen.

China konnte sich nach Beginn der globalen Finanzkrise als Retter der Weltwirtschaft profilieren, weil es noch reichlich Möglichkeiten hatte, die Wirtschaft zu stimulieren. Die Banken des Landes gehören durchweg dem Staat und hören auf das Kommando aus Peking. Als Anfang 2009 der Export wegbrach, hat die Regierung die Institute angewiesen, Kredite besonders großzügig zu vergeben. Die optimistischen chinesischen Firmen haben begeistert zugegriffen und kräftig investiert. Das Wachstum stieg bald wieder über zehn Prozent.

Doch in den fünf Jahren seit Beginn des schuldenfinanzierten Wachstums ist die Summe der ausstehenden Kredite in China um sieben bis zehn Billionen Euro angestiegen. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandprodukt beträgt 2,6 Billionen Euro im Jahr. Das ist der schnellste Anstieg, den die Ökonomen je in einer entwickelten Volkswirtschaft beobachtet haben und übertrifft die Entwicklung in Japan von dem Ende der Blase 1990 oder in den USA vor der Lehman-Pleite.

Trotz der gigantischen Geldschwemme ist das Wachstum jedoch immer weiter zurückgegangen und wird dieses Jahr nur gut sieben Prozent betragen. Das Aufputschmittel nutzt sich ab, weil schon alles investiert ist, was sich derzeit fürs Wachstum sinnvoll anlegen ließe. Ein Großteil des Geldes fließe bereits in die Umwälzung bestehender Kredite plus Zinsen. Die Projekte dahinter bringen dagegen auf Jahre keine ausreichenden Einnahmen zur Rückzahlung.

An den Banken als Träger der chinesischen Sonderkonjunktur bleibt nun der Schwarze Peter hängen. „Die chinesischen Bankbilanzen sind bereits schrecklich verzerrt“, sagt Finanzwissenschaftler Michael Pettis von der Peking-Universität. „Sie sind im Prinzip krisenreif.“ Es krache nur deshalb nicht, weil die Anleger mit ihrem Geld nirgendwo anders hinkönnen – das Land kontrolliert akribisch die Geldflüsse über die Grenze.

Da die Inhaber von Sparkonten ihre Einlagen nicht abziehen, behalten die Banken die nötige Finanzierungsbasis. Das wirkt grundsätzlich stabilisierend. Doch das fundamentale Problem von Exportabhängigkeit und Überkapazitäten bleibe bestehen, sagt Pettis. Wenn die Unternehmen aufhören, sinnlos zu investieren und schließlich Mitarbeiter nach Hause schicken müssen, drohe ein Wachstumsdurchhänger im Bereich von drei bis vier Prozent, schätzt der Ökonom. Das kommt in China einer Rezession gleich.

Es ist daher jetzt schon abzusehen, dass eine neue Runde von Bankenhilfe nötig werden könnte – zumal der Zug trotz erkannter Gefahr mit voller Kraft weiterrast. „Der Kreditboom setzt sich ungebremst fort“, sagt Analystin Charlene Chu von Fitch Ratings. Von einer Rückkehr zur Solidität sei nichts zu sehen. Bis Ende August haben Chinas Banken nach Berechnung der Ratingagentur neue Kredite im Wert von gut 2,5 Billionen Euro vergeben. Ein derartiger Anstieg der Schuldenfinanzierung lasse sich nicht aufrechterhalten, warnt Chu.

Schon jetzt zeigen sich Anzeigen von Problemen. Die Zahl der uneinbringlichen Kredite steigt bereits an. Die Banken sitzen auf faulen Darlehen im Wert von über 100 Milliarden Euro, schätzt Analyst Jin Lin von dem Wertpapierhaus Orient Securities in Shanghai. Die offizielle Zahl liege zwar erst bei der Hälfte. Doch die Banken verstecken das Ausmaß der Probleme. Außerdem steht ein Großteil der potenziellen Problemkredite noch auf dem Status „überfällig“ – es dauert eine Weile, bis er auf „uneinbringlich“ umspringt. Zuvor muss klar sein, dass vom Schuldner vorerst nichts zu holen ist.

Der Staat bereitet jedoch jetzt schon eine mögliche Bankenrettung vor. Neue Regeln machen es einfacher, faule Kredite zu verbriefen oder in Auffanginstitutionen abzuschieben. Im August hat die Bankenaufsicht bekannt gegeben, eine Handelsplattform für Kredite zu schaffen, mit die Banken ihre Risiken an einen breiteren Kreis für Investoren weitergeben können. Faule Kredite würde so möglicherweise noch einen Käufer finden – wenn auch mit einem kräftigen Rabat, also weit unter der Summe, die das Unternehmen von der Bank ursprünglich bekommen hat. Immerhin herrscht dann Klarheit.

Peking steht im nächsten Schritt auch bereit, die Banken mit frischem Kapital zu versorgen – was in China ohne große Diskussionen abläuft, denn sie gehören ja bereits mehrheitlich dem Staat. Peking hat so bereits eine Reihe von Pleiten verhindert, etwa nach der „GITIC-Krise“ von 1998 oder einer Immobilienblase in Shanghai, die 2006 geplatzt ist. Noch heute liegen daher uneinbringliche Kredite im Wert von Hunderten von Milliarden Euro in Auffangbanken.

Das Volumen der Probleme ist jedoch diesmal um ein Vielfaches höher als je zuvor, warnt Fitch-Analystin Chu. Bei einer konsequenten Rückführung drohe ein Einbruch des Wachstums – mit unabsehbaren Folgen für die Weltwirtschaft.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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