Demokratie in stürmischen Zeiten. Die großen Linien vom Ballermannwahlkampf in den USA bis zum Selbstopponenten Seehofer.

Geh‘ doch raus, möchte man dem Seehofer zurufen: Der Mann ist schizophren und eine Gefahr für die Demokratie. Wenn’s nur das wäre: Der Blick über den Teich zeigt uns, dass die Frage, ob Geld die Welt regiert, normalerweise mit „Ja“ zu beantworten wird. Aber der Unmut darüber, dass das Geld regiert, hat dazu geführt, der etablierten politischen Klasse total das Vertrauen zu entziehen. Jetzt haben wir mit Sanders auf der Linken und dem Trump auf der Rechten ein Paar, das uns nur eines sagen will: Im größten und mächtigsten Land des Westens ist die Vertrauensbasis weg. Die Mitte hat sich weggesprengt, jetzt formieren sich Lager, die kaum mehr gemeinsame Werte und Vorstellungen mit sich vereinen. 
 
Deutschland scheint dagegen die Insel der Seeligen. Noch ist alles ruhig, zwischen zehn und fünfzehn Prozent der Wählerschaft neigen zwar der AfD zu, aber wer die Sympathisanten alle nationalistischen und rassistische Lager stecken will, liegt falsch: Die AfD sammelt Rassisten ebenso ein wie diejenigen, die Unmut äußern wollen;  – und sich im System nicht wiederfinden. 
 
Meine These: Die Demokratie steht auf dem Spiel. 
 
Was macht den Westen aus? 
 
Einerseits ein Wohlstands- oder zumindest Fairnessversprechen, andererseits „Legitimation durch Verfahren“, wie man auf Luhmann verweisend, sagen könnte. Weil Entscheidungen durch die gewählte Mehrheit des Volkes erfolgen, werden sie akzeptiert. Jeder kann sich äußern, jeder kann wählen, jeder kann eine Partei gründen. Soweit, so klar. 
 
Was ist aber, wenn bei mehr und mehr Menschen der Eindruck entsteht, das Angebot zur Partizipatipon, das von Linken, SPD, Grünen und neuerdings auch der CDU immer wieder betont wird, ist eine Falle? 
 
Weil, wenn sie sich mal mit Politik beschäftigen, sie nicht verstehen, was da wie verhandelt wird (obwohl sie die die Problemlagen sehr wohl verstehen: Globale Wanderung, wie kann der Westen seinen Reichtum gegen „die anderen“ verteidigen). Da wird der Schusswaffengebrauch an der Grenze tabuisiert anstatt gegen ihn anzuargumentieren. Da äußert das führende Mitglied der Regierungspartei CSU, Seehofer, die Meinung, wir hätten eine „Herrschaft des Unrechts“. Dann soll er doch rausgehen und Schluß machen mit der Regierung, denkt sich der geneigte Beobachter. Tut er aber nicht, weil, das hat der Beobachter auch schon verstanden, es zu einem Machtverlust, also einem persönlichen Risiko führen würde. Genau das will er nicht. Genau deshalb führen solche Äußerungen zu einer Erosion von Glaubwürdigkeit. Die gefühlte Reaktion auf diese Äußerung, dass nämlich Merkel ihm den Stuhl vor die Türe setzen müsste, unterbleibt, Demokratie wird zum Bühnenspiel, bei der die Akteure anders handeln als der gesunde Menschenverstand meinen würde. 
 
Das steigert die Wut und wird, wenn die Wut, die sich ihre Kanäle regelmäßig über Republikaner, AfD und andere sucht, tabuisiert wird, zu einem Klumpenrisiko: Wir blicken nach USA. 
 
Deutschland hat es NOCH besser. Aber wenn Politik weiter Sicherheit signalisiert anstatt Zusammenhalt in der Veränderung zu mobilisieren, wird das nicht mehr lange anhalten. 
 
Deutschland hat’s besser, noch. Weil die Wirtschaftsdaten ausgeglichener sind, weil das soziale System abfedert, weil die Hemmungen wegen der Nazi-Verbrechen höher sind, weil die Dreistigkeit (noch) nicht so hoch ist wie anderswo. Nur: Die Betonung liegt auf NOCH! Proaktives Denken und Handeln jetzt würde bedeuten, dass die Politik zu begreifen beginnt, dass die ständig zunehmende Politisierung alles und jeden, die ständige Einmischung von Politikern in (fast) alles nicht zu besseren Ergebnissen und Entscheidungen führt, sondern zu mehr Verwirrung. Denn eines fehlt den meisten Politikern dabei: Sich klar zu machen, dass manche politische Entscheidungen hart sein können, dass man deswegen angefeindet wird, dass man deswegen, damit man in weniger Fragen mehr Auseinandersetzungen bestehen kann, eben auch weniger Themen anpacken darf. Dem ist nicht so. Der politische Wettlauf ist ein Thematisierungswettlauf, viele denken, wer als erstes auf ein Thema springt, hat gewonnen, drei Tage später kommt ein neues Thema usw usw. 
 
Zurück bleibt eine irritierte Öffentlichkeit. 
 
Wenn Politik das ganze nicht mehr steuern und gestalten kann, muss sich die Kräfte der gesamten Gesellschaft heraus mobilisieren. Und zwar aus ihrer Mitte heraus. Und mit Blick nach vorne. 
 

Mit ihrem verblüffend globalisierungsbejahenden „Wir schaffen das“ ist Angela Merkel einen ersten Schritt gegangen. Jetzt kommt es darauf an, dass andere diese Schritte richtig interpretieren (Nämlich, dass wir stark sind, wenn alle mit anpacken, wenn sich Zusammenhalt an unseren Werten und nicht unserer Herkunft bemisst, wenn wir Verfahrensweisen überprüfen und, wenn sie nicht mehr greifen, über den Haufen werfen. Wenn wir so über die Welt reden, wie die meisten das wahrnehmen: Ja, wir wollen unseren Wohlstand verteidigen. Ja, wir wollen das mit menschlichem Gesicht. Da wird es rumpeln und krachen, reibungslos wird es nicht gehen, einen schicken Transformationsplan wird es auch nicht geben. Wir sollten uns einfach vortasten. Schritt für Schritt, aber unverzagt. 

 
 Dann wird’s schon!

 

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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