Codifizierung. Was Veränderung im Gesundheitssektor bremst.

Das fällt mir jetzt schon manigfach auf: Wer das Gesundheitssystem ändern will, muss sein Verhältnis zur Rechtslegung diskutieren. Einige Beobachtungen.

Wer dem G-BA Vorsitzenden Hecken aufmerksam und zwischen den Zeilen zuhört, dem wird deutlich, dass ein Gedanke all seine Argumente durchzieht: Rechtssicherheit.

Vergangene Woche, Spreestadtforum, der Bremer Senator für das Gesundheitswesen, Schulte-Sasse referiert über Krankenhausplanung, die Notwendigkeit einer solchen (ja) und die daraus resultierenden Umsetzungsprobleme, auch dieser unsägliche Abwrackfonds für Krankenhäuser in Höhe von 300 Mio. €. Sein Argument: Ja, Abwrackprämie muss sein, sonst werden alle Entscheidungen verklagt. Und nichts passiert. Weil Schulte-Sasse das System von drei Seiten kennt und auch gerne Krankenhäuser schließen würde, weil es in Deutschland zu viele davon gibt, kann man davon ausgehen: Er weiß, was er sagt.

Auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Herr Baum, einer der großen Bremser im System, pocht immer darauf, dass rechtlich die Länder die Investitionen gewährleisten müssten. Dann lässt er Gutachten anfertigen, die altbekanntes nochmal darlegen. Ob er damit vor Gericht zieht, weiß ich nicht.

Und also ist es ein Thema: Warum ist das Rechtssystem, die Rechtssicherheit längst zu einem Blockadesystem gegen Veränderung geworden?

Meine Antwort: Weil sie nicht einen Rahmen festsetzt, Regeln der Entscheidungsfindung definiert, sondern die Regulierung substanziell füllt. Und deswegen kann eben jeder, dem eine Entscheidung nicht passt, klagen. Irgendeine Richtlinie wird er schon finden, auf die er seine Klage stützen kann. Zwei Effekte sind zu beklagen: Einmal kann der Kläger auch Recht bekommen. Zum Zweiten aber ist auch in den Fällen, in denen er kein Recht bekommt, die Entscheidung blockiert. Und der große Mühlstein des Gesundheitssystems, Verzögerung durch Verfahren, bremst alle weiter aus.

Eine schlanke Gesetzgebung also. Würde man das so in den politischen Raum hineinkommunizieren, wäre der Aufschrei groß: Neoliberalismus. Tatsächlich aber ist das Gegenteil davon Erstarrung. Während sich überall alles ändert, glaubt das Gesundheitssystem, das weiter im Schneckentempo laufen lassen zu können.

Das kostet. Qualität, Zeit und Geld. Und Haltung, nämlich die Haltung der engagierten, die etwas besser machen möchten. Denn die dürfen nämlich nicht. So entsteht ein frustriertes Gesundheitswesen.

Die Folge von „flexible Regulation“ wäre, dass Politik sich nicht mehr zum Wohltäter stilisieren könnte. Es gäbe ja nur den Rahmen vor. Allerdings sei hinzugefügt, dass selbst die Bürgerversicherung, ein kommunikativ durchaus einleuchtendes Projekt, im vergangenen Wahlkampf keinerlei Bedeutung hatte. Den Bürgerinnen und Bürger ist das nämlich zu detailliert, zu kompliziert, also beschäftigen sie sich nicht damit.

Wenn die Gesundheitspolitik allerdings die Regulierungsdichte reduzieren würde, hätte das auch positive Konsequenzen: Gesundheitspolitiker müssten nicht weiter Fachbeamte wider Willen sein. Dafür lässt man sich schließlich nicht wählen.

Wie man Sozialgesetzgebung deregulieren könnte, ohne gleich das Kind mit dem Bade auszuschütten, dazu kenne ich noch kein Konzept.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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