Cloud Dreamings. Abroad.

Ok. Den Hype über Cloud habe ich nie verstanden. Denn einerseits halte ich gerne meine Sachen, sprich Inhalte, fest und andererseits will ich sie auch überall verfügbar haben. Ein Grund für diesen Blog. Aber wenn wir mal über das Surfen auf der Cloud-Wellle hinweg sehen, macht der Beitrag von Charles Leadbeater doch das ganz große Bild auf. Er könnte auch einigen Input für die anstehende Enquete-Kommission des Bundestages liefern.

Zumindest liefert der Beitrag auch eine Übersicht über die beteiligen kommerziellen Interessen.

P.S. Dämmert eigentlich einigen Verlegern, dass angesichts dessen, dass die spannenden Diskussionen längst international stattfinden, dass das provinziell Deutsche in der kleinteiligen Zeitungsverlagslandschaft nicht länger überlebensfähig ist.

P.S.S. Dazu passt auch, dass Madsack (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Münchner Merkur u.a.) sein Hauptstadtbüro nicht mehr besetzen will. Denn 0-8-15 Nachrichten gibt es auch anderswo. Und auf selbst rechercherietes will man künftig offensichtlich verzichten. Oder, andere Variante, hat der Verleger mehr Weitblick und deshalb erkannt dass das Berliner Regime längst selbstreferentiell und irrelevant ist?)

20100208 Sueddeutsche
Verheißung und Bedrohung

„Cloud Computing“: In Zukunft werden wir unsere Daten nicht auf Festplatten, sondern im Netz speichern. Das verändert nicht nur die digitale Kultur / Von Charles Leadbeater

Das Netz, mit dem wir aufgewachsen sind, beruhte auf Daten und Software, die dort gespeichert wurden, wo sie Verwendung fanden: auf PCs und Großrechnern. Diese Tatsache gab uns das Gefühl von Besitz und Kontrolle. In einer Welt, in der wir unsere Daten – E-Mails, Dokumente, Bilder, Musik – in Form von „Cloud Computing“ aufbewahren, speichern wir sie fernab in einer Art digitalen Wolke, stets zugänglich über jedes beliebige Gerät: den Computer, den Fernseher, eine Spielkonsole, das Mobiltelefon, sie könnten in unseren Küchentisch eingebaut werden, in den Badezimmerspiegel oder in das Armaturenbrett im Auto. Wir haben überall Zugang zu unseren Daten. Statt Software fest auf unserem Rechner zu installieren, zahlen wir immer dann dafür, wenn wir sie nutzen wollen.

Unsere größte Herausforderung wird sein, Cloud Kultur und den dazugehörigen Kapitalismus im Sinne des Gemein- und des Privatwohls funktionstüchtig zu machen. Es wird nämlich soziale, öffentliche und kommerzielle digitale Clouds geben. Kommerzielle Clouds werden ermöglicht, betrieben und unterstützt werden von kommerziellen Anbietern, die dann auch Daten auswerten und Werkzeuge zur Verfügung stellen, damit jeder einzelne Nutzer zur Auswertung beitragen kann. Die Foto-Clouds von Flickr passen in den Sektor kommerzieller Clouds, auch Google und Amazon bieten Dienstleistungen für kommerzielle Clouds. Auf der anderen Seite ist die „Digitale Weltbibliothek“, die aus staatlich finanzierten Bibliotheken rund um die Welt erwächst, das beste Beispiel für eine öffentliche Cloud. Wikipedia könnte man als soziale Cloud bezeichnen: Das Online-Lexikon ist vor allem durch freiwillige Unterstützung entstanden.

All diese Phänomene werden unsere Kultur verändern, also den sich immer weiter entwickelnden Speicher unserer Bilder, Texte und Ideen, mit dem wir unserer Welt Bedeutung verleihen. Cloud Computing wird eine gigantische Maschine zur Erzeugung einer neuen Kultur sein – und könnte einen Weg ebnen, uns über unterschiedliche Kulturen hinweg miteinander zu verbinden. Disparate und partikuläre Interessen könnten zueinander gebracht und auf neue Weisen miteinander verbunden werden. Das Ergebnis wird keine neue gemeinsame globale Kultur sein, wir werden aber gemeinsame Bezugspunkte und geteilte Plattformen für unterschiedliche kulturelle Ausdrucksformen haben.

Bisher breiteten sich Ideen von Europa und den USA rund um die Welt aus, insbesondere durch die Medien des Industriezeitalters, die massive Investitionen bei Produktion und Distribution erfordern. Diese Medien – das Kino ist der klassische Fall – werden noch immer von winzigen Produktionszentren im Westen dominiert. Die Hälfte der 185 Staaten in den Vereinten Nationen hat niemals einen abendfüllenden Spielfilm hervorgebracht.

Viele Kritiker hat das zu der Klage verleitet, dass westliche Kultur, getragen von westlichen Medien, eigenständige nationale und lokale Kulturen und Sprachen entwurzele. Jeremy Tunstalls „The Media Are American“ fing diese Stimmung ein, die einherging mit Beschreibungen von Prozessen wie „Dallasifizierung“, „Coca-Colanisation“ oder“McDisneyfizierung“.

Sieben von den weltweit zehn größten Unternehmen haben ihren Hauptsitz in den USA, darunter Walt Disney, Viacom, News Corporation und Time Warner. Es existieren auch andere wichtige Bezugsquellen für Film und Fernsehen. Bollywood macht mehr Filme als Hollywood, und die lateinamerikanische Telenovela hat eine weltweite Anhängerschaft. Nichtsdestotrotz dominieren die USA und Europa die traditionelle, industrielle Medienkultur. Reiche Länder, so Schätzungen der UNESCO aus dem Jahr 2002, exportieren kulturelle Güter und Dienstleistungen im Wert von 45 Milliarden Dollar, die ärmsten nur im Wert von 329 Millionen Dollar. Und nur ein Prozent der Plattenaufnahmen dieser Welt stammt aus Afrika.

Cloud Culture ermöglicht eine deutlich größere Vielfalt kultureller Ausdrucksformen aus viel mehr Ursprüngen. In diesem Kontext ist die Aufgabe, so viele Menschen wie möglich in die Lage zu versetzen, ihre jeweilige Kultur beizusteuern sowie sie untereinander zu verbinden, ineinander zu übersetzen und miteinander zu vermischen.

Cloud Culture könnte eine seltene und feine Mischung werden: dezentralisierter, pluraler und kooperativer. Weniger hierarchisch, weniger an Besitz und Geld orientiert. Die Grenzen zwischen Amateuren und Professionellen, Konsument und Produzent, Entwicklungen an der Basis und breitem Mainstream werden durchbrochen, wenn nicht zum Verschwinden gebracht. Communitys für Open Source Software und gruppenorientierte Wissenschaftsmodelle, die auf geteilten Datenquellen und Open-Access-Journalen beruhen, weisen den Weg dahin, was in anderen Bereichen möglich sein wird.

Doch das ist nicht mehr als eine Möglichkeit. In der Tat ruft diese neue Kraft, auf Kommunikation beruhend und garantiert durch Formen kollektiver Kooperation in bürgerlichen Gesellschaften, bereits jetzt heftige Kämpfe hervor. Regierungen und Unternehmen versuchen den Bürgern die Kontrolle über die Cloud zu entziehen.

Der Cyberspace sollte der bürgerlichen Gesellschaft helfen. Kosten und Aufwand für politische Organisation sanken. Doch so schnell sich dieser zivilgesellschaftliche Raum öffnete, so raffiniert gingen autoritäre Regierungen dabei vor, ihn wieder zu schließen. Die Vorstellung, dass autoritäre Regierungen immer so schwerfällig sein werden, dass sie vom blitzschnellen Zulauf im Netz überlistet werden, ist ein Irrtum. Wie Jewgenij Morosow, Mitherausgeber der Zeitschrift „Foreign Policy“, gezeigt hat, weichen viele Regime der direkten Konfrontation zugunsten einer häufigeren, subtileren, hartnäckigeren und durchdringenderen Form von Cloud Management aus.

Sogar wo Cloud Culture autoritäre Herrschaft zu bedrohen scheint, kann ihr Einfluss leicht überschätzt werden. Ein klassisches Beispiel ist die Rolle, die Twitter bei den Protesten im Iran vom Juni 2009 spielte, die den umstrittenen Wahlen des Landes folgten. Twitter wurde zu einem der Wege, auf denen iranische Internetnutzer Nachrichten über Proteste und polizeiliche Übergriffe verbreiteten, als die Unterstützer von Mir Hussein Musawi die Straßen übernahmen, um dagegen zu protestieren, dass Präsident Mahmud Ahmadinedschad zum Sieger erklärt worden war. Zwischen dem 7. Juni und dem 26. Juni gab es 2024166 Tweets mit Bezug auf die Wahl im Iran. Ein paar Tage lang bestand der Eindruck, dass der Iran den schlagenden Beweis für die Kraft des Netzes liefere, die Welt zu erneuern. Als sich die Aufregung legte, trat die komplexe Realität deutlicher zutage. Eine Untersuchung von 79000 Tweets zu den Protesten von Mike Edwards, einem Wissenschaftler für soziale Netzwerke von der Parsons New School for Design, ergab, dass ein Drittel davon Re-tweets waren – Tweets von Leuten also, die ein originales Posting weiterleiteten. Die Mehrheit von Mussawis Unterstützern sind junge Städter, die demographisch größte Gruppe von Twitter-Nutzern. Circa 93 Prozent der iranischen Twitter-Nutzer wohnen in Teheran.

Das Wichtigste aber: die Zahlen stimmen nicht. Nach Angaben von Sysomos, einem Unternehmen, das soziale Medienaktivität analysiert, gab es im Iran einen Anstieg bei den Twitter-Mitgliedschaften von 8654 im Mai auf 19235 im Juni 2009. Ein Teil dieses Anstiegs mag zwar auf die Rechnung von Twitter-Nutzern außerhalb des Iran gehen, die sich in dem Land registrierten, um die Behörden zu verwirren. Dennoch entspricht sogar die höhere Zahl von 19235 nur 0,027 Prozent der iranischen Bevölkerung (gemäß der Volkszählung von 2006 70049262). Eine Befragung durch das Centre for Public Opinion und die New American Foundation fand heraus, dass ein Drittel der Iraner Zugang zum Internet besitzt. Das würde bedeuten, dass Twitter-Nutzer zum Zeitpunkt der Revolte 0,082 Prozent der iranischen Internet-Nutzer ausmachten.

Eine andere Bedrohung für die Cloud Culture kommt von Inhabern von Urheberrechten, die das Internet nicht als Technologie kultureller Freiheit, sondern als Zerstörung verstehen. Es zerstört ihr Geschäftsmodell, indem es das kostenlose Kopieren von Inhalten erleichtert. Sie sind der Ansicht, dies untergrabe die Produktion von hochqualifizierten kommerziellen Kulturprodukten – Bücher, Filme, Fernsehen. Weit davon entfernt, kultureller Reichhaltigkeit den Weg zu ebnen, werde Qualitätskultur vernichtet von einer Unmenge minderwertiger, nutzergenerierter Inhalte. Kritiker wie Andrew Keen und Nicholas Carr sind der Meinung, dass uns das Netz schon jetzt mit allerlei Schädlichem überflute: schlechte Qualität, kurze Aufmerksamkeitsspannen und Amateurkultur ersetzten individuell hergestellte, professionelle Kultur, die Geduld und Hingabe verlange.

Um solche Zerstörung zu verhindern, argumentieren traditionelle Verlage und Eigentümer von Inhalten, benötigten sie eine gesteigerte Kontrolle darüber, wie ihre Inhalte genutzt würden. Weil Inhalte so leicht kopiert und geteilt werden könnten, sei vollständige Kontrolle über ein einzelnes Stück Inhalt – einen Song etwa oder ein Kapitel aus einem Buch – unmöglich ohne Kontrolle über sämtliche Links, die jemand beim Teilen mache. Das Versprechen des offenen, kooperativen Netzes könnte so möglicherweise einen Freifahrtschein bedeuten für entsprechend eindringliche Formen von Kontrolle im Namen etablierter kommerzieller Kulturindustrien, die sich vom Netz bedroht fühlen. Es überrascht nicht, dass die Eigentümer der Inhalte Druck ausüben für ein ausgeweitetes Schutzrecht, längere Urheberrechtskonditionen und härtere Strafen für illegales Herunterladen. All das könnte die Ausbreitung, den Umfang und die Kreativität einer offenen Cloud Culture beschränken. Unsere kulturellen Clouds wären zu Sterilität und Trägheit verdammt.

Wenn Inhalte aus der Cloud im Urheberrecht und anderen Formen von geistigem Eigentum gefangen sind, wird es zunehmend schwieriger werden, miteinander in Kontakt zu kommen, sich abzustimmen und zusammenzuarbeiten. Das kreative Potential des Netzes, die Dinge schöpferisch neu abzumischen, wird erheblich beschränkt sein. Um offenere kulturelle Beziehungen im Netz zu fördern, sollten wir uns daher auf folgende Punkte konzentrieren: Wir müssen gemeinschaftliche Lösungen für das Problem der „verwaisten“ Werke finden. Regierungen sollten der Versuchung widerstehen, Urheberrechtsschutzgesetze auszuweiten. Grundannahme sollte immer sein, dass alle Kulturprodukte sich in der Public Domain finden, nachdem ein genereller Zeitraum von Urheberschutz oder geistigem Schutz ausgelaufen ist. Neue Formen von kreativer Lizensierung nach dem Prinzip des Open Access und den gebräuchlichen Regeln für Kreativität sind erforderlich. Sie müssen so gestaltet werden, dass sie das Teilen ermöglichen, aber gleichzeitig den Originalwerken und ihren Autoren Anerkennung zollen.

Die meisten Medienunternehmen werden neue Geschäftsmodelle benötigen, die darauf zugeschnitten sein müssen, mehr Interaktion mit Inhalten und eine stärkere Verteilung zu erlauben. Staaten, die erfolgreich mit solchen Modellen experimentieren, werden den nächsten Schub kultureller und kreativer Industrien anführen.

Eine dritte Bedrohung entsteht durch die Magnaten im Bereich neuer Medien, den Kapitalisten der Cloud. Facebook, Apple, Google, Salesforce, Twitter trachten danach, mit dem Erstellen und Verwalten von Clouds Geld zu verdienen. Diese Cloud-Kapitalisten sind die neuen Machthaber hinter den globalen kulturellen Beziehungen. Ihr Aufstieg hat einen zunehmend hässlichen Bürgerkrieg mit den alten Medien ausgelöst, der von Rupert Murdoch angeführt wird. Die Schlacht zwischen den alten und den neuen Medien jedoch hat unsere Aufmerksamkeit von der Frage abgelenkt, wie diese Unternehmen Cloud Culture in unserem Interesse organisieren wollen. Sie werden die Cloud so strukturieren, dass sie Geld verdienen. Am Ende des Jahrzehnts wird Google nie dagewesene Kontrolle über unsere literarische Kultur besitzen, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Selbst wenn man die Fragen nach Monopolisierung, Privatsphäre und Sicherheit außer Acht lässt, werden kommerzielle Anbieter von Dienstleistungen für die Cloud einem starken Anreiz unterliegen, ihre Nutzer dahingehend zu steuern, dass sie ihre Erträge maximieren, um davon abzuschrecken, dass sie von einem Dienst zu nächstem springen.

Heute taucht eine Massenkultur am Horizont auf, die mehr als frühere Kulturformen auf Partizipation und Kooperation beruht, die sich um Suchen, Handeln, Teilen, Machen, Verändern dreht. Sie stimuliert, weil Menschen hier aktiv Teilhabende und Erschaffer von Kultur werden statt bloß Empfänger. Optimisten sehen in diesem Umbruch große Möglichkeiten, eine globale Plattform für kulturellen Ausdruck und Austausch. Skeptiker warnen davor, dass unsere „Clouds“ wahrscheinlich eher die kulturelle Entsprechung zu saurem Regen oder, schlimmer, schwere Stürme hervorbringen werden. Sie befürchten, dass wir einer Kultur von ständiger Störung, Lärm und Ablenkung entgegengehen, in der, je mehr es an Musik und Text, Bildern und Filmen geben wird, auch umso mehr kulturelles Tohuwabohu und soziales Chaos entsteht. Unseren Interessen als Bürger und Konsumenten wird am besten gedient sein, wenn es eine reiche Auswahl an kulturellen Clouds gibt: öffentliche und private, gruppenbasierte und unverbindliche, globale und extrem ortsgebundene, kosmopolitische und nationale. Wir sollten die größtmögliche Vielfalt an Clouds anstreben statt einfach an die Cloud schlechthin zu denken. Cloud Culture wird negative Auswirkungen haben. Dennoch existiert noch immer ein unermessliches Potential für uns, unsere eigenen Kulturen reichhaltiger zu machen, die Kultur des jeweils anderen besser zu verstehen und eine größere Freiheit im kulturellen Ausdruck zu genießen. Diese Möglichkeit, eine neue Gattung globaler kultureller Güter, wird nur dann weiterhin offenstehen, wenn wir uns den Versuchen von Regierungen und Unternehmen widersetzen, die Cloud Culture exklusiv für ihre eigenen Zwecke einzuspannen.

Der Autor ist Publizist und Berater der britischen Regierung. Der Text beruht auf einer Studie für Counterpoint, den Think Tank des British Council und erschien im Original in der Reihe Edge Essays auf edge.org.

Aus dem Englischen von Michael Stallknecht

(SZ vom 8.2.2010)

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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