Back to Blood. Warum Tom Wolfe’s neuestes Buch ein politisches Lehrbuch ist.

Lese gerade Tom Wolfe, Back to Blood, einerseits brüllend komisch, wie er mit der Sprache bastelt, mit Buchstaben Laute imitiert, mit Interpunktionen modelliert, Laune macht zu lesen. Und wie er auf der anderen Seite ein schonungsloses Bild unserer, der westlichen Gesellschaft zeichnet, in diesem Falle Florida.

Spiegelbild von Eitelkeiten. Rückbesinnung auf Loyalitäten und Zugehörigkeiten, Alltäglicher Rassismus und Political Correctness, jeder durchschaut das Spiel und (fast??, ich weiß es nicht, bin noch im ersten Drittel) keiner kann und will aussteigen. Grundmotive: Überleben und Anerkennung um jeden Preis. Dann schlage ich die Süddeutsche von heute 11.3.2013), Seite 3 und lese die Geschichte von Christian Karl Gerhartsreiter, der Rockefeller Junior war. Nebst Ex-Gattin, Boston Consulting Partnerin und jahrzehntelanger voller Anerkennung der besseren Gesellschaft. Da braucht’s keinen Tom Wulfe, oder besser, das ist neues Material.

Was ist richtig, was ist falsch in dieser Welt? Wie bringen wir sie stärker ins Lot? Was tun wir hier eigentlich? Und was glauben wir, zu tun? Der Weg zur Hölle ist mit Tugend gepflastert. Aber ohne Tugend geht’s auch nicht.

Dazu noch der Spiegel Titel: Warum manche Menschen Leben retten. Und andere nicht.

Der Westen ist auf Surensuche. Für sich selbst. Aber weil er immer noch danach sucht, ob er Spuren im Schnee findet, an denen er sich orientieren kann, läuft er im Kreis. Bis er feststellt, dass er lediglich seinen eigenen Spuren nachläuft, im Kreise eben, weil den Weg eben noch niemand gegangen ist.

Ach ja. Vergangene Woche hatte ich dann noch Ralph Fücks, Green Innvation auf dem Tisch. Die Botschaft: Der Intellektuelle Wegbereiter der GRÜNEN schaut sich Technologie genauer an. Erkennt, dass das naturalistisch statische Klein-Klein des grünen Weltbildes nicht mehr passt zur Bewältigung der Probleme der Welt. Grün beginnt, das postmaterielle, vorstadtbürgerlich small is beautiful Weltbild aufzubrechen. Gut, aber beim Lesen fühlt sich das seltsam kraftlos an, Unentschieden, was folgen soll. Ein neue, diesmal grün gewandete Modernisierungswelle a la Sozialdemokratie? Eine, die unseren Lebensstandard nicht in Frage stellt, weil letztlich niemand von uns wirklich Bock hat, seinen Lebensstil aufzugeben. Dazu noch Harald Welzer, Moralphilosoph des Klimawandels und grüner Generalkritiker. Wirkt ein bißchen wie Generalprovokateur mit Lebenszeitlehrstuhl. Nachzulesen in der Wochenendtaz.

Ein bißchen wirkt das alles wie ein Vexierbild, eine Illusionsvorstellung. Und die kann, das malt Tom Wolfe sehr schön aus, in Sekundenschnelle switchen. Es gibt keine Rollen mehr, es gibt nur noch Rollensegmente. Drehbücher werden auf der Bühne verlesen, deswegen funktionieren die Rollenmodelle nicht mehr.

Das atemberaubendste dieses Buchs ist übrigens der Umgang mit Rassismus. Sehr feinfühlig. Und ernüchternd ehrlich. Zwei Steinwürfe weiter als das provinzielle Brüderle Aufschrei! Empörungsgeheule.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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