Kann Europa die Welt ernähren? Eine denkwürdige Podiumsdiskussion zum Thema europäische Landwirtschaftspolitik und Welternährung in der baden-württembergischen Landesvertretung

Eines kann man definitiv behaupten. Skandalträchtig war sie nicht, die Diskussion zwischen Wolfgang Reimer, Ministerialdirektor im baden-württembergischen Landwirtschaftsministerium, der seinen erkrankten Vorgesetzten, Minister Alex Bonde würdig vertrat, Olaf Tschimke, NaBu-Präsident, Dr. Felix Prinz von Löwenstein, DLG-Präsident Carl-Albert Bartmer, Folkhard Isermeyer, Thünen-Institut und Cornelia Füllkrug-Weitzel von Brot für die Welt, moderiert von Tanja Busse geführt haben. Und gerade deswegen war sie gut.

Klar war schnell, dass nicht die europäische Landwirtschaft die Welt, sondern eher umgekehrt die Welt die europäische Landwirtschaft am Laufen hält. Netto ist Europa Agrar-Importeur, auch wenn in den Medien die subventionierten Exporte der EU für Schlagzeilen sorgen.

Und so war sich das gesamte Podium einig, dass einige der Schlagzeilenargumente in der Realität nicht taugten. Die Frage nach der Flächenproduktivität, forderte DLG-Vorsitzender Bartmer, solle man schleunigst durch Ressourceneffizienz ersetzen. Die Diskussion in unserer eng verzahnten Weltökonomie, ob Dezentralität oder Welthandel besser sei, solle man eher durch die Frage ersetzen, den agrarischen Handel nicht durch Subventionen zu verzerren. Und Fleischproduktion ist, deren Produktivität in den letzten Jahren stark gestiegen ist, wurde podiumsübergreifend als eines der wesentlichen Fragen einer nachhaltigen Landwirtschaftspolitik betrachtet. Einigkeit bestand zumindest in der Frage, dass steigende Fleischpreise (so der Preiszuwachs denn beim Bauern ankommt) gut für alle wären. Für die europäischen Verbraucher, weil sie so bewußter gesünderes (und weniger) Fleisch essen würden, für die Bauern, weil der Druck zur weiteren Intensivierung abnehmen würde und für den Welthandel ebenso, weil der Futtermittelbedarf, einer der wesentlichen Importgüter, zu Entspannung auf den Weltmärkten führen könnte. Auch wenn, das wurde an diesem Abend deutlich, Angesichts der großen Schwellenvolkswirtschaften die Dynamik aus ganz anderen Kontinenten kommt.

Vielschichtig war es, das Bild von den Herausforderungen einer nachhaltigen Landwirtschaftspolitik, das vor den Augen der Zuhörer entstand. Niemandem auf dem Podium ging es um schnellen Punktgewinn, deshalb blieben ganz strittige Fragen wie die Frage der Gentechnologie mal außen vor.

Schuldig blieben die Diskussionsteilnehmer aber die Antwort auf die ganz einfache Frage: Was tun?

Der Einwurf des Autors, angesichts der Komplexität der Situation ginge es offensichtlich mehr darum, die größten Probleme in der Landwirtschaftspolitik zu identifizieren, um somit eine „robuste“ Strategie, eine die „Leitplanken“ einer künftigen Landwirtschaftspolitik (die qua Handelsbeziehung natürlich auch eine Entwicklungspolitik und Verbraucherpolitik ist) identifiziert, entwickeln zu können. Richtigerweise wurde eingewandt, eine solche Diskussion würde weitere 2 Stunden benötigen.

So versuche ich, aus aufgeklärter Laiensicht sozusagen, Leitlinien für eine belastbare landwirtschaftspolitische Strategie zu definieren:

1) Die enge Verzahnung von verbraucherpolitischen, landwirtschaftspolitischen, ökologischen und internationalen Beziehungen erfordern mittelfristige und belastbare Leitlinien. Um diese zu entwickeln, scheint es sinnvoll, von allzu ambitionierten Zielen und Zusammenhängen Abstand zu nehmen. Ob höhere oder niedrigere Lebensmittelpreise gut für die Eigenentwicklung der Landwirtschaft in den Enwicklungsländern ist, hängt von weiteren Faktoren wie der Gouvernance und Machtverhältnissen in den Ländern ab, die sich verändern und nicht von Europa aus zu bestimmen sind. Subventionsabbau im internationalen Agrarhandel scheint unumstritten eine zentrale Strategie. Ehrliche Preise würden dabei zu einer Abkühlung mancher Überhitzung führen.

2) Das Zusammendenken von ökologischen und ökonomischen Faktoren scheint ein sinnvoller Ansatz, um politische Realstrategien entwickeln zu können. Weltweit sind Mais, Reis und Weizen die dominierenden Anbauprodukte, in Deutschland Raps, Weizen und Mais. Diese Sortenverarmung und ihre Auswirkungen auf Bodenkulturen und Landschaften droht Landschaften und ihr ökologisches Erholungspotential, ihre Fähigkeit, die Vielfalt aufrecht zu erhalten, resilient zu sein, zu unterminieren. Die Frage, mit welchen Instrumenten die Erhaltung von Resilienz und Vielfalt zu erreichen wäre, lohnte sich zu debattieren. Wobei ich eine These hinzufügen möchte: Es geht in der aktuellen Debatte nicht darum, ob die reine ökologische Landwirtschaft oder eine moderne, „nachhaltige“, wie Carl-Albert Bartmer formulierte, auf Effizienz orientierte konventionelle Landwirtschaft die bessere Alternative ist. Sinnvoll wäre es, für beide Produktionsweisen Agendas zu entwickeln, wie eine Steigerung von Nachhaltigkeit zu gewährleisten wäre. Und was aus Sicht der einen Entwicklungslinie ein No Go für die andere wäre. Das Thema Gentechnik müsste dabei thematisiert werden. Gerade, weil Europa da eine weltweit einzigartige, man kann aber auch sagen, isolierte Stellung einnimmt.

3) Überhaupt, so entfaltete sich der schleichende Eindruck, gibt es kein Erkenntnisproblem der Experten, welche Strategien und Maßnahmen vorrangig sinnvoll wären, sondern ein Umsetzungsproblem: Die „fachlich“ bessere Lösung wird im politischen Alltag Opfer vordergründiger und „status quo“-orientierter Politik. Differenzierte Ansätze bleiben im grobschlächtig interessensgesteuerten europäischen Aushandeln schnell auf der Strecke, auch da scheint große Einigkeit vorhanden.

4) Bleibt eine banale Erkenntnis: Wir sind alle, ob Politiker, Landwirte und Verbraucher, sind Teil des Problems, also werden wir auch Teil einer Lösung sein müssen. Angesichts der reflexiven Töne, die auf dem Podium dominierten, scheint es an der Zeit, abseits der medialen Schlachten an Netzwerken, Verttrauen und belastbaren Zielen und Netzwerken zu arbeiten. Denn ganz grob geht es ja darum, unseren Lebenstandard, nein besser, unsere Lebensweise mit den Entwicklungsperspektiven sich entwickelnder Länder und den Notwendigkeiten einer resilienten Boden- und Landentwicklung in Einklang zu bringen. Ach ja, und der Freihandel als solches, auch das zeichnete sich ab, bleibt ein wesentliches flexibles Regelungsinstrument künftiger Politik. Es bleibt aber zu diskutieren, wie der limitierende Faktor, Bodennutzung, als Rahmenbedingungung in die Agrarwirtschaft eingeführt werden kann. Ob dies durch Stickstoffabgabe, ein System der Nachhaltigkeitszertifizierung oder eine aktive Lenkung der Stoffströme erreicht werden kann, wäre noch Gegenstand weiterer Diskussionen.

5) Politstrategisch betrachtet stellt sich aber wieder einmal die Frage nach instrumenteller Effizenz, also wie kann ich mit diesem unscharfen Zielbündel überhaupt Wirkung erzielen. In entwaffender Offenheit wurde bilanziert, europäische Agrarpolitik diene ohnehin alleine dem Ziel der Einkommenssicherung in der Landwirtschaft, also der Sicherung des Status Quo. Es bleibt die Hoffnung, dass sich auch in diesem Politikbereich, abseits vom Schlachtenlärm, eine neue „Haltung“ der Akteure breit macht: Es geht nicht länger darum, mit Kulissenschieben und dem Greenwashing mit dem Mäntelchen Nachhaltigkeit reale Entwicklungen zu verschleiern. Sondern es geht darum, die richtigen Dinge richtig zu tun.

Gemessen daran war der Abend ein gelungener Abend. Eben, weil Verständigung über vordergründige Fronten hinweg die erste Voraussetzung von Handlungsfähigkeit ist.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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