Tag Eins nach Merkel. Neue Perspektiven. Grüne Perspektiven?

Tag eins nach Merkel. Zum Abschied sollten wir noch einmal festhalten, wie einzigartig Angela Merkel ist und war. Ihre Zurückgenommenheit, ihre Leistungsfähigkeit auf der Strecke, Ihre Fähigkeit, den anderen die Bühne zu überlassen, um selbst mehr Spielraum zu haben. Ihre von allen zugestandene Reflexionsfähigkeit, eine sehr spezielle Form reflexiver Modernisierung, ihre Gesprächsfähigkeit und die Fähigkeiten, andere einzubinden. Eins zu eins, Vier Augen-Gespräch als politisches Mittel.

Eine große Lebensleistung. Danke, Angela Merkel.

Aber was kommt jetzt. Ein Überblick. 

Alles hat seine Zeit. Und Schwächen.

Den Wissenschaftlern, Auguren, Besserwissern, Nörglern bleibt es jetzt überlassen, die Defizite, die diese Form des Nicht kommunizieren, und seine Folgen, zu diskutieren. In der Flüchtlingsfrage, in der Merkel faktisch das getan hat, worüber sie nie gesprochen hat, ist ihr dieses Nichtkommunizieren zum Verhängnis geworden.

Die große Leistung von Angela Merkel: Die CDU von der Position des ewig Gestrigen zu befreien. Dreigliedriges Schulsystem, lebenslange Ehe, Frauen an den Herd, als gesellschaftlich verbindliche Norm, das war einmal. Angela Merkel hat die CDU modernisiert. Nur weiss die jetzt nicht mehr, was sie glauben darf.

Die West-CDU hat es nie geschafft, sich selber ein wirkliches Bild von der Wirklichkeit zu verschaffen. Angela Merkel ist ganz keine ganz großen Rednerin, wer ihr aber zugehört hat, konnte sich immer davon überzeugen, dass ihr Bild von der Wirklichkeit ein Bild aus dem Hier und Jetzt ist.

Die Implementierung hat aber mehr und mehr zu schwächeln begonnen. Und Maaßen war das Ende von allem.

Die Kaiserin war plötzlich nackt.

Was nun?

Die Grünen, der neue Hoffnungsspender?

Als Grüner hat man es scheingut. Politik heute ist ja eine Gradwanderung. Die Grünen haben einen geräuschlosen Führungswechsel vollzogen, ein sichtbar neuer Narrativ. Zuvor ist es ihnen gelungen, in den Jamaika-Verhandlungen das Bild zu korrigieren, sie wären nur auf Umweltfragen fixiert und zu radikal. Es wurde für alle Bürgerinnen und Bürger sichtbar, dass sie gut verhandeln können, professionell aufgestellt sind und persönlich auf Überzeugung, nicht auf Überwältigung zu setzen. Claudia Roth und Horst Seehofer, das neue Dreamteam, haben das sichtbar gemacht. Jürgen Trittin schwieg.

Und Robert Habeck ist, auf ganz andere Weise als Winfried Kretschmann, aber genauso überzeugend, ein anderer Politiker. Weil er anders über Politik spricht. Und weil er den Raum öffnet für neue Lösungen, die “aus dem Bauch der Grünen”, aber auch aus dem Umfeld, kommen müssen.

Schwarzgrün in Bayern. Was wäre gewesen, wenn?

Was, frage ich mich, hätten die Grünen verhandelt, wenn sie mit der CSU verhandelt hätten? Was wäre ein sichtbar neuer Ansatz gewesen?

Mir fällt es schwer, das zu sagen. Die alte Leier? Ja, ich weiß, die Welt ist noch nicht gerettet, aber Energiewende, Verkehrswende, Ernährungswende klingt irgendwie: – alt, oder?.

Robert Habeck macht das gut, grundsätzlich ist die Partei auch willig, den Kurs “aus der Mitte heraus” mit zu tragen. Sichtbares Beispiel: Jürgen Trittin, der alte links rechts Reflexe hinter sich lässt und Peter Gauweiler in einer nüchternen Ortsbestimmung (des Westens gegenüber dem Rest der Welt) zustimmt.

Ein Anfang.

Gabor Steingart feiert in seinem originellen Morning Briefing die neue politische Kultur, die zwischen Habeck und Lindner erwachsen sei (nachzusehen bei Anne Will vom Hessenwahlsonntag). Er ist süchtig nach Debatten, nach Auseinandersetzung.

Verständlich!

Annalena Baerbock kann ganze Männerhorden rocken. Schön zu sehen.

Annalena Baerbock haut die ganze Männerriege um, wirklich witzig, wie sie nassforsch alle plattmacht. Zu sehen bei Hart, aber fair, am Nachwahlmontag.

Nur: Was sie zum Thema Flüchtlinge, sichere Herkunftsländer redet, ist, wie der Rest der Anwesenden zu Recht bemängelte, keine wirkliche Lösung. Ein rechtsstaatlich ordentliches Verfahren bei allen Flüchtlingen kann man ja nur fordern, wenn man weiss, dass die anderen schon per Mehrheit Dinge durchdrücken. Das Konzept, Einzelfälle zu prüfen und dann zurückzuschicken, klingt zwar schlüssig, ist aber für die Größenordnungen von Flüchtenden zu aufwändig.

…. Und schon ist sie dann wieder, die Frage, ob de Grünen das weltoffene Unschuldslamm spielen wollen (und damit tatsächlich “nur” das eigene Weltbild retten, oder ob sie in Sachen Flucht, Abwehr einer zu großen Anzahl von Flüchtlinge und Integration derer, die integrierbar sind, an Lösungen mitarbeiten wollen. Es ist nämlich nicht so, dass die Frage eines rechtsstaatlichen Verfahrens und dem Aufbau weiterer Ressourcen für Integration “bloß” eine Frage des Geldes oder der Prioritäten ist. Es ist auch eine Frage, wann die eigene Identität, und zwar auch die Identität der Weltoffenen, verloren geht.

Im Streitgespräch zwischen Robert Habeck und Lindner tat sich mir übrigens ein Verdacht auf: Lindner ist einfach neidisch. Deswegen der Versuch, Wortblitze des Zornes gegen Robert zu schleudern. Das „Cremige“ ist so einer. Oder der Ökonationalismus. Lindner spürt, dass die Grünen den Geist der Mitte atmen. Deutschland ist bereit zur Veränderung, aber es möchte nicht den nass forschen Lindner als Vorreiter, weil man zu viel Herzlosigkeit fürchtet, zu wenig Abwägung beim Repräsentanten einer Partei, die es schon einmal mit mitfühlendem Kapitalismus versucht hat.

Wer will sich schon bemitleiden lassen, wie es im Begriff „mitfühlend“ mitschwingt.

Und so kann es sein, dass Lindner durchaus richtig liegt, es ihm aber trotzdem nicht hilft.

Was könnte sich um die Grünen herum sammeln?

Die Grünen könnten also die Partei sein, um die sich die Aufbruchswilligen sammeln. Die also, die zugleich das Deutsche Mantra, Zusammenhalt, Sozialstaaat, Gerechtigkeit von Oben (und nicht als Klassenkampf) und die Herausforderung der Globalisierung (Spiegelbild: Zukunft des Planeten) und der Digitalisierung (Warnschilder: Vorsicht, Verlust von Arbeitsplätzen; Verlust von Privatsphäre durch Big Data) ins Auge fassen wollen.

Auch wenn sie keine Lösungen für diese Zusammenschau haben. …

Parteien, hat mal ein Kluger gesagt, sind Thematisierer, Agendasetter (manchmal, wenn sie den Zeitgeist erkennen) und eben keine Problemlöser……

Und so fühlen sich die Grünen in der weltoffenen, neugierigen Hälfte der Gesellschaft zu Recht in ihrer Mitte, während die FDP sich längst aus der Mitte herauskatapultiert hat, einerseits den herzlos knallharten Modernisierer mimt, andererseits durch das Image der Machtverweigerung als diejenigen gelten, die nicht liefern können.

Und ich füge als Drittes hinzu: Die eigentliche Schwachstelle ist die programmatische Schwäche der Partei.

Operativ haben die Grünen den anderen Parteien CDUCSU und FDP voraus, dass sie Konzepte ausdefiniert haben. CDUCSU genügt immer schon der Anspruch, zu regieren. Und die konzeptionelle Schwäche der FDP war in ihrer letzten Regierungsbeteiligung (und im letzten Wahlkampf) deutlich wahrzunehmen.

Die Zukunft ist offen. (Partei)Politik denkt geschlossen.

Jede Partei, Olaf Scholz hat das bei Anne Will richtigerweise angemerkt, hat ihre eigene Agenda abzuarbeiten. Die SPD tut das, aber niemand hat eine Idee, wie sie aus ihrer a) inneren Zerrissenheit und b) dem GAP gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, dem Verlust an den Glauben der Wirksamkeit von Regierungspolitik, herauskommen könnte. Sie regiert ja gut, setzt, weitgehend ungebremst, das um, was sie verspricht. Es ist viel richtiges dabei. Aber es nutzt nichts.

Die Grünen schwimmen obenauf. Aber nicht mehr lange, wenn sie sich nicht daran machen, das umzusetzen, was Vorturner Habeck, wie der Gegner meint, cremig, ich meine philosophisch anmahnt:

Die Grünen: Statt billiger Kompromisse der „großen“ Koalition nachvollziehbare Abwägungen.

Welcher Ansatz macht uns, die deutschen Grünen, fähig, die Interessen der deutschen Bürgerinnen und Bürger und die Verantwortung für den Planeten in eine nachvollziehbare Abwägung zu bringen.

Meine Hypothese: Man muss darüber reden, dass Globalisierung ein Prozess ist, der eben nicht top down zu organisieren ist. Es gibt keine Weltregierung, deswegen braucht man Opportunities, Zeitfenster und Akteurskombinationen, die funktionieren. Adhoc.

Und Mut. Da leihen wir uns den German Mut der FDP aus. 🙂

Das Richtige Konzept. Zur richtigen Zeit. Gut angepackt, entmachtet man damit die Gralshüter innerparteilicher Weisheiten.

Whats next. Die grüne Agenda.

Eine offene, ergebnisoffene Diskussion über die Rolle von Politik und Unternehmen im Prozess globaler Citizenship. In einem Prozess also, in der Politik, deutsche, aber auch europäische Politik, nur begrenzt Regeln setzen kann, sie muss dazu erst Bündnisse schaffen, die Machtbasis, um Regeln durchsetzen zu können.

Und zuvor muss sie das Weltbild der Deutschen formen. Oder: Der Mehrheit der Deutschen.

Wenn es, These, den Grünen gelingt, aus dem Weltbild der Globalisierung heraus ein handlungsfähiges Bild von Politik zu zeichnen (und dieses auch mit entsprechenden “Remindern”, also Wahrnehmungsankern) zu bestücken, wäre das gut. Plötzlich wären nicht mehr eigene, ideologische Idioms, Datenschutz, Open Data, politisch administriert “Wende”-Konzepte für alles und jedes, “Förderpolitik”, Diskurs, der oftmals ausartet in den Diskurs der Dagegner, der einzige Maßstab für richtiges Handeln, sondern die Begegnung von Handlungskonzepten mit der Wirklichkeit.

So verstand ich immer Robert Habecks, „radikal ist das neue pragmatisch“. Radikal offen wahrnehmen. Themen zusammen denken. Aber dann auch entscheiden, was man tut, auch wenn es nur der nächste Schritt ist. Besser ein umgesetzter Schritt als ein ewig uneinlösbares Versprechen (Ein paar Beispiele: Bürgerversicherung, Grundeinkommen). Es zählen die Schritte der Realisierung. Und die Abwägung, was es kostet, was es bringt.

Jetzt müssen auch die Grünen liefern.

Ihr Weltbild neu zusammensetzen. Nach vorne sehen. Aus der Mitte der Gesellschaft, das heißt auch, neu zu bestimmen, welche Rolle Unternehmen in einer globalisierten Welt für den Fortschritt der Menschheit (und des deutschen Geschäftsmodells) hat.

Übrigens: Deswegen, auch deswegen benötigen die Grünen auch eine unabhängige Stimme aus der Wirtschaft, mit der sie sich auseinandersetzen müssen. Und die sie nicht länger nur als billigen Lobbyismus abtun können.

Auf zu neuen Ufern. Wir arbeiten dran!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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