Weniger Demokratie wagen! Versuch eines Manifestes

Sind wir nicht wie die Lemminge, wir die Linksliberalgrünen, die das Beste wollen und in MEHR POLITIK die Rettung der Welt zu erkennen meinen?

Ich will hier mal das Gegenteil vertreten: Weniger Demokratie wagen! Die aber besser. Weil sich zu einem bestimmten Zeitpunkt alles, was richtig ist, in sein Gegenteil verkehrt.

Der Text ist ziemlich abstrakt. Er ist auch erst ein Fundament, unseren politischen Prozess mit offeneren Augen zu betrachten. Mehr darüber zu reden, was ansteht und weniger, wie das fertige Konzept  aussieht. Prioritäten setzen, bescheiden werden, sich als politisch Handelnde zurücknehmen und in Beziehung zur Welt setzen.

Ich wünsche viel intellektuelles Vergnügen!

Weniger Demokratie wagen!

DAS KANN DEMOKRATIE

Das größte Missverständnis, das unserer Gesellschaft in ihrer linksbürgerlichen Mitte unterlaufen könnte, ist, dass Demokratie und Politik gestalten kann. Sie kann korrigieren, Leitplanken einziehen, Konflikte reduzieren. Aber wirklich gestalten kann sie nur in Ausnahmefällen: Dann, wenn der Laden brummt. Dann, wenn man sich keine Gedanken machen muss, ob er läuft, sondern nur, in welche Richtung er läuft. Dann funktioniert staatlich organisierter Interessensausgleich. Und, ja, noch eine zweite Bedingung kommt hinzu: Wenn Staat die Grenzen wirtschaftlichen und sozialen Handelns noch kontrollieren kann.

Sonst laufen dem Staat die Bürger und die Unternehmen weg.

Die Interpretation des Politischen ist eine Interpretation aus dem Nachkriegsblickwinkel

Das Mißverständnis kommt nicht von ungefähr. Im westlichen Nachkriegsdeutschland, dem fleißigen, unpolitischen, haben alle Hand angelegt und, mit freundlicher Unterstützung der USA, das einen leistungsfähigen Partner im Ost-West-Konflikt wollte, aufgebaut, auch, um zu vergessen. In dieser Situation war eine Kurskorrektur notwendig. Fixiert auf Wirtschaftswachstum, Wohlstand, Arbeitsplätze hat man vergessen, den Blick zum Himmel zu richten und zu erkennen, welche Folgen diese Art des Wirtschaftens zeitigt. Die Politik, technologieverliebt, wollte mittels Atomkraft das Perpetuum Mobile schaffen. Und im Kampf Ost gegen West wurde ein irrwitziges Kräfteverhältnis des Schreckens errichtet, vom dem wir erst jetzt, da es durch die Schrecken der Talibans, Al Kaida und der IS erstzt worden ist, erkennen, dass es auch ordnenden Charakter hatte. Und schließlich: Eine junge, weitgehend sorgenfrei und friedlich aufgewachsene Generation hat aus der Kritik des Bestehenden (und nach manch absurden, manch blutigen Ausflügen) einen innerhalb 50 Jahre mehrheitsfähigen Korridor definiert, in dem sie sich alle bewegen möchten: friedlich, unter nachhaltiger Nutzung von Ressourcen, mit Blick auf den gesamten Globus.

Das Politische hat gesiegt. Wir sollten daran arbeiten, dass daraus kein Pyrrussieg wird.

Das ist jetzt, mit einigen Abweichungen, Konsens. Was politisch ebenfalls Konsens ist: Es ist die Aufgabe der Politik, mittels sozialstaatlicher Interventionen den Zusammenhalt und das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten UND ZU VERBESSERN, natürlich unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten und mit Blick darauf, wie es „den anderen“ in der Welt geht.

Schon diese Formulierung in Reinform macht deutlich, dass Politik dabei ist, sich zu überheben. Politik kann nur das umverteilen, was erwirtschaftet wird. Politik muss sich auch darum kümmern, dass der Laden läuft. Wie schwer sie sich damit tut, zeigt der Umgang mit der Regierung Schröder, der Öffnung Deutschlands für ausländische Kapitalgeber, das ungeliebte Hartz IV und das Beispiel Frankreichs, das sich beharrlich weigert, der Realität ins Auge zu sehen und stattdessen sich oben mental einigelt, während unten schon längst Front National gewählt wird.

Die Politiker und die Parteien sind dabei Opfer und Täter. Einerseits signalisieren sie, dass, kämen sie ans Ruder, alles besser werden würde. Andererseits ist es zumindest die Erwartung der medialen und linksbürgerlichen Öffentlichkeit, dass sie genau dieses zu leisten hat. Insofern sind beide Teile, Bürger, soweit sie am öffentlichen Leben teilnehmen und Politiker Elemente einer Loose-Loose-Situation.

Wenn Politik klar macht, dass sie weniger kann, sich dafür aber kommittet, wird sie mehr erreichen!

Deswegen noch einmal der Gedanke: Politik kann Weichen stellen. Aber wie es so ist mit dem Weichenstellen, braucht man dazu erheblichen Kraftaufwand. Ressourcenbündelung ist also gefragt, man kann nicht alle Weichen auf einmal umstellen, sonst weiß niemand mehr, wann endlich ein Zug fahren kann und wohin die Reise geht. Und man muss den Mitfahrern erklären, wohin der Zug fährt. Es sind, um im Bild zu bleiben, nicht alle Pufferküsser. Sonst nimmt die Empörung zu. Politik kann Richtungsentscheidung. Aber mehr kann Politik nicht!

DAS MACHT DEMOKRATIE

Worüber nicht gesprochen wird

Demokratie, so wie sie sich momentan in Deutschland im Spektrum von CDUCSUSPDGRÜNELINKE darstellt, hat dieses sozialdemokratische Politikmodell im Hinterkopf: Mehr Politik wagen, also, sich politisch mehr einmischen und einmischen lassen, der demokratische Teil, und mehr Umverteilung, mehr Ausgleich, mehr Gerechtigkeit, das ist der sozialpolitische Teil. Wir wollen jetzt nicht länger darüber reden, ob die Menschen, die nicht am politischen Prozess teilnehmen, unsere Staatsform akzeptieren, weil es ihnen, mit Blick auf andere Länder, noch relativ gut geht. Oder ob es ihnen um die Freiheit und Bürgerrechte geht. Auf jeden Fall ist der Teil „Gerechtigkeit durch Umverteilung“ ein wesentlicher Bestandteil des unsignierten Paktes zwischen Bürgern und dem Staat.

Unthematisiert bleibt aber, dass dieses Modell der Umverteilung und wachsender Aufgabendelegation an den Staat, in einer historisch einzigartigen Wachstumphase entstanden, in Zeiten von Globalisierung und moderner Informationstechnologie, damit fallender Grenzen, flüchtigen Kapitals, weltweiter Kooperationsmöglichkeiten nicht länger funktionieren kann. Heute werden die Risiken von Morgen aufgebaut (anstatt umgekehrt). Und anstatt einer antifragilen Strategie, also einer Strategie, die darauf aus ist, die Strukturen so weiter zu entwickeln, dass sie von sich aus neue Lösungen für neu entstehende Problemlagen entwickeln, geht der Hang zu politischen, wachsenden und damit zunehmend unflexiblen und staatischen Strukturen. Politik statt Familie, Freunde und nachbarschaftliche Strukturen, Nationalstaatliche Regelungen, Europäische Regelungen. Auf dem Papier macht es sich gut, in der Praxis aber funktioniert es nicht.

Die Kollateralschäden der Politik: Durchschnittlichkeit, Standardisiserung, Schwerfälligkeit

Dabei müsste doch längst auffallen, dass die Schwerfälligkeit, mit der Politik, je weiter sich von der konkreten Problemlage entfernt, nur noch durchschnittlich brauchbare Lösungen entwickelt, Anlass zur Sorge gibt, dass sie eben diese Aufgaben, Lösungen für die anstehenden Probleme zu liefern, nicht mehr liefern kann.

Weil sich die Mechanismen politischer Konsensfindung längst von der Problemlösung gelöst haben. Weil sich die politische Ebene in der medial vermittelten gesellschaftlichen Welt, der Welt der bürgerlichen bis linksbürgerlichen Medien, der Welt der Juristen, Ärzte, Journalisten, NGO-Aktivisten, des Gesundheits- und Wohlfahrtswesen, der Welt derer, in denen immer jede Gleichung aufgeht, der Welt derer, die friedlich und konsensuell ist, immer eine Lösung ausgehandelt werden kann. Ob diese tatsächlich funktioniert (oder ob sie nur auf der medialen Ebene taugt), ob Politik fähig ist, Lösungen zu produzieren, die „von sich aus“ besser werden (ist sie nicht), ob Politik mit den gesellschaftlichen Akteuren, also den Lehrern, den im Gesundheitswesen arbeitenden und allen anderen, auf Augenhöhe redet und sie in Mitverantwortung nimmt (Freiheit UND Verantwortung), spielt in den medialen Debatten keine Rolle. Wenn sich die Folgen unzureichender Verantwortlichkeit politischen Handelns zeigt (und das ist ausdrücklich KEIN Problem korrupter Beamter oder Politiker, darüber können wir hier getrost hinwegsehen, dies ist eine Folge systemischer Nichtverantwortbarkeit politischer Entscheidungsfindung) sind die Medien längst wieder bei einem anderen Thema gelandet.

Politik ist systemisch unverantwortlich!
Politik muss deswegen immer strukturell unverantwortlich sein. Und wir, die bürgerlich liberale Linke, macht sich keinen Gefallen, wenn sie alles, was MEHR REALITÄT WAGEN heißt, immer als neoliberal brandmarkt. Es ist ein Teil der Realität, dass die Stabilität der Sozialsysteme in dieser Form nicht gewährleistet werden kann. Es ist, das habe ich letzthin in einer Diskussion gehört, Realität, dass, wenn man die Pensionslasten des öffentlichen Dienstes, mithin auch die Absicherung des politischen Personals, dass diese Absicherung des politiknahen Umfeldes alleine alle öffentlichen Haushalte zum Kollaps bringen würde.

Politik zeigt (auch) deshalb oft mit dem Finger auf Ungerechtigkeiten, die sie nicht lösen kann, um nicht darüber reden zu müssen, dass sie die Probleme, die sie lösen kann, beispielsweise die Lösung des Pensionsproblems oder den Bau eines Flughafens, den sie sich selbst ans Bein gebunden hat, nicht löst.

DAS SOLLTE POLITIK MACHEN

Die Sache mit der Utopie

Immer wieder höre ich, die Politik müsse wieder Utopien entwickeln. Ich bin da inzwischen, auch aus Kenntnis der Prozesse in den Parteien, utrapragmatisch. Und skeptisch. Politik sollte sich um eine Haltung bemühen (dh. Verantwortung übernehmen dafür, auch unschöne, aber notwendige Entscheidungen mit zu tragen), sie sollte miteinander um die Richtung streiten (wenn es unterschiedliche Richtungen gibt) und sie sollte darum werben, dass alle Bürgerinnen und Bürger, auch wenn sie sich nicht für Politik interessieren, verstehen, dass sie Teil des Gaanzen sind, dass, nur wenn jeder von uns und jeder auf seinem Platz als Wirtschafts -und Staatsbürger tut, was ihm notwendig und richtig erscheint, sich unser Land in die richtige Richtung entwickeln wird: Steigerung der ökonomischen Leistungfähigkeit (Innovation, denn nur so kann der Westen seinen Wohltstandsvorsprung vor der Welt legitimieren), Erhalt sozialen Ausgleichs (die Essenz dess „rheinischen Kapitalismus“) und einen intelligenteren Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

Wenn politische Parteien suggerieren, sie hätten eine Lösung für alle diese Probleme, täuschen sie sich und andere. Sie haben Verkaufsformeln, mehr haben sie nicht. Und der politische Prozess ist der Test, welche Formel (Die Zutaten: Begriffe und Menschen, die diese Begriffe repräsentieren) in den Köpfen der Menschen, die zur Wahl gehen, am meisten Widerhall findet.

DIE KONSEQUENZ: MEHR REALITÄT WAGEN!

Was bedeutet politische Führung? Folgen wir den linksbürgerlichen Parteien, bedeutet Führung, das richtige politische Konzept auf den Tisch zu knallen. Das ist einer der größten Irrtümer moderner Welterklärung: Dass Käufer und Bürger rational entscheiden. Nein, genauso, wie Käufer sich manchmal Marken anvertrauen und sich manchmal sich mit Vor- und Nachteilen verschiedener Alternativen beschäftigen, tun das auch Bürgerinnen und Bürger, Wählerinnen und Wähler. Sie vertrauen. Oder auch nicht. Mal so, mal so. Oder: Der eine so, der andere so. Wenn also immer weniger Menschen zur Wahl gehen, ist es noch nicht so beunruhigend, weil das bedeuten kann, dass sie mit ihrer Lage zufrieden sind. Wenn sich aber mehr und mehr Bürger auch davon verabschieden, dass sie sich für Politik interessieren, bedeutet das, dass sie das Vertrauen darin, dass Politik ihre persönliche Situation verbessern oder gar retten kann, längst aufgegeben haben.

Und so wird ein Bild daraus: Während die, die noch wählen gehen, sich noch immer an die Versprechen, dass Politik ihre Situation besser macht, klammern, hat der wachsende Teil derer, die nicht mehr zur Wahl gehen (oder von ständig neuen Parteigründungen, manchmal links, wie die Piraten, manchmal rechts wie die AfD aufgesogen werden) diese Hoffnung längst fahren lassen. Und, das hier nur am Rande, wer so, wer so tickt, bildet auch das Fundament einer neuen Klassenbildung.

WAS TUN?

Es ist kein einfaches Unterfangen, aber eines, das irgendwann ansteht: Weniger Politik wagen, aber das, was man anpackt, mit mehr Hartnäckigkeit und Stehvermögen. Also auch: Mehr Realität wagen. Darüber reden, dass die Welt von morgen nicht mehr die Welt von gestern sein kann. (Und nicht nur an die nächste Wahl denken). Hinhören, was die Menschen bewegt. Mobilisieren, damit die Menschen, die etwas leisten können, diesen Beitrag auch leisten werden. Nachdenken, was noch gehen könnte. Neue Wege finden. Menschen, Unternehmen und anderen Organisationen ermöglichen, neue Wege zu gehen. Nicht entweder oder diskutieren, sondern sowohl als auch. Manchmal geht dieses, manchmal geht jenes.

Voraussetzung: Erkennen, dass es die Welt nicht gibt!

Und alles erfordert, dass wir zwei Gewissheiten aufgeben:

Das wir, der rationale, moderne Westen, sich tatsächlich ein Bild von der Welt machen kann (dazu ändert sie sich  zu viel, zu glieichzeitig, zu vielschichtig).

Und dass Politik, die Idee, dass der Mensch, in rationaler Abwägungsprozessen, ein autonomer Gestalter seiner Umwelt, seiner Zukunft ist, Ausdruck unseres kulturellen Größenwahns ist.

Erst wenn wir die Bescheidenheit unseres politischen Tuns erkennen, beginnen, die Eingebettetheit in die reale Welt nachvollziehen und trotzdem, das wäre dann der Beitrag zur politischen Führung, glaubwürdig Mut zur Zukunft, Neugier auf Zukunft vermitteln und dafür mobilisiseren können, erst dann wird Politik seine Wirkung zur Geltung bringen.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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