Über richtige und falsche Politik in einer globalisierten Welt. Eine Perspektivbestimmung. Insbesondere für Grüne.

Eine globalisierte Welt, das heißt, eine Welt, in der das Kapital und große Unternehmen flüchtig sind oder sein können. Es ist eine Welt, in der die Politik nicht mehr alternativlos den Rahmen setzen kann, sondern politische Rahmensetzung Teil unternehmerischer Kalküle wird. Sie führt zu Abwägungsprozessen seitens der Unternehmen: Was ist Aufwand, was ist Ertrag einer Verschiebung meines Unternehmensstandortes, von Produktionsstandorten.

Politik in einer globalisierten Welt, das bedeutet ohne Wenn und Aber erst einmal nationale Politik, oder formulieren wir es besser, Politik aus einer nationalen Perspektive. Wie sieht gute Politik denn unter diesen Umständen aus? Und wie kann Politik, wie können Parteien Zustimmung finden. Einige Überlegungen. Auch in Reflektion der grünen Lage.

It’s the economy, stupid!

Ökonomie ist international, Politik ist national. Es geht um Zusammenhalt derer, die man repräsentiert.

Aus der Perspektive Deutschlands heraus bedeutet das, europäische Politik zu machen, die aber selbstbewusst und reflektiert mit dem deutschen Standpunkt umgeht (Exportnation durch Technologie- und Systemintegrationsvorsprung), der gleichzeitig ein Role Model für Europa ist. Denn machen wir uns nichts vor: Der übermäßige Anteil der erwirtschafteten Werte der Welt, den der Westen für sich beansprucht, lässt sich nur dadurch legitimieren, dass der Westen sich als Angebot für den Rest der Welt formuliert, als Gesellschaftsangebot, offene Gesellschaft, rationaler Interessensausgleich, Reduzierung kriegerischer Auseinandersetzungen auf der einen Seite, die ökonomische Perspektive auf der anderen Seite: Entwickler moderner Technologien, die zu einem Entwicklungsfortschritt, zu weniger Hunger, besseren Lebensbedingungen für dem Rest der Weltgesellschaft führen kann. Und gleichzeitig zu einem Wettlauf der Regionen, Kulturen, Nationen der Welt um Anteile am erwirtschafteten Reichtum der Welt führt.

But it’s not only the economy!

Politik, das sollte uns zu denken geben, kann also niemals gut sein, also zum Beispiel „gerecht“ sein, sondern immer nur zu mehr Gerechtigkeit führen, wobei sich dabei immer anschließende Fragen stellen.

Frage 1 zum Kosten Nutzen-Prinzip: Zum einen die Frage nach dem Aufwand/Ertragsprofil der politischen Strategie. Also, wie viel mehr Gerechtigkeit erhalte ich mit dieser Politik. Und was sind die Kosten, budgetäre Kosten ebenso wie mittelfristige Folgen (Führt mehr Absicherung zu mehr Freiheit, Neues zu tun, oder zu mehr Risikoscheu, weil man ja abgesichert ist), und Folgen in anderen Bereichen. „Mehr Gerechtigkeit durch höhere Steuern“ beispielsweise muss einkalkulieren, ob und wie es Abwanderungstendenzen von Unternehmen, Verlust von Markt- und Wettbewerbsvorteilen zur Folge hat.

Frage 2 zu alternativen Szenarien: Welche Alternative gibt es zur vorgeschlagenen Strategie? Und welche Nutzen/Schadens-, Chancen/Risikoprofile hätten diese alternativen Politiken. In diesem Fall also, welche anderen Möglichkeiten gäbe es beispielsweise, mehr Gerechtigkeit herzustellen. Ein Vergleich von Politikszenarien würde letztlich, ginge es um rationale Strategiefindung, erst zu einer reflektierten und reflexiven Strategiefindung führen.

Politik heißt Führung. Und Führung braucht Personen.

Doch davon sind alle Parteien weit entfernt. Vielleicht, weil diese Szenarienabschätzungen gar nicht so einfach sind. Vielleicht aber auch, weil das Politik überfordert. Was sind rationale Strategien in komplexen, multipolaren Systemen?
Also denken wir mal andersrum: Politik heißt Führung. Führung benötigt Vertrauen. Und so ist Politik die Institutionalisierung von Vertrauensbildung durch die Schaffung eines öffentlichen Diskurses. Neben Programmen spielen dabei Personen eine Rolle. Personen, die durch ihr mediales Schaulaufen mehr oder weniger Zustimmung finden.

Derzeit, und das ist ein durchgängiges Problem, findet Politik, wenn sie an der Macht ist, durchgängig wenig Zustimmung.

Ich will mal vier Namen in die Runde werfen, anhand derer man diskutieren kann, wie man Zustimmung gewinnt: Angela Merkel, Sigmar Gabriel, Wolfgang Schäuble und Boris Palmer.

Dass Angela Merkel große Zustimmung findet, wissen wir. Das kommt daher, dass sie sich (These) jenseits der etablierten Erwartungshaltung durchgesetzt hat. Kohls „Mädchen“ ist der langgedienteste Regierungschef der westlichen Welt und es sieht nicht nur so aus, dass sie das relativ verschleißfrei bewältigt, sondern auch, dass sie doch ziemlich erfolgreich ist. Sie hat sich einen Dreck um die damals veröffentlichte Meinungsbildung gekümmert, sondern ist ihren Weg gegangen. Sie wägt ab, macht das oft sehr spät, aber auch das hat Vorteile. Sie ist zurückhaltend, kommentiert kaum, überlässt anderen die Bühne und regiert aus dem Hintergrund.

Wolfgang Schäuble, den erwähne ich, weil er in verschiedenster Weise ein Phänomen ist. Einmal, weil niemand erwarten konnte, dass Merkel und Schäuble sich so gut arrangieren können, schließlich hat sie ihn „gesägt“. Aber dann auch, weil sie das Rollenspiel, national und international, perfekt beherrschen. Er gibt den Abräumer, sie die Moderierende. Er spricht gerne (nicht oft, aber wenn, dann klar), sie agiert im Hintergrund. Das ist, solange die Gesundheit Schäubles stabil ist, eine sichere Bank. Und es zeigt zudem, dass funktionierende Systeme von den Menschen abhängen.

Sigmar Gabriel kann noch nicht auf eine solche Erfolgsgeschichte zurückblicken. Seine Sympathiewerte: mager. Sein Profil: zerrissen. Und doch, wenn man die Entwicklung der letzten Jahre verfolgt, hat er alle Voraussetzungen, zum Erfolgsmodell zu werden. Schritt eins, das eigene Lager befrieden, indem man durch eine „Gerechtigkeitsgabe“ und die Definition der aktuellen Regierungsagenda symbolische Stärke zeigt. Schritt zwei, indem man in die Regierungsbildung auch die Kritiker einbezieht, indem man die Energiewende einen grünen Staatssekretär machen lässt und auch im Verbraucherbereich mit Billen grün spricht. Nein, Gabriels Werte sind noch nicht so, dass man sagen könnte, er wäre am Ziel, aber er hat noch Zeit. Er ist jedenfalls alternativlos innerhalb der SPD. Sigmar Gabriel hat die Niederungen (Popbeauftragter) schon hinter sich, jetzt dauert es. …..

Und Boris Palmer? Ja, er ist der Egoshooter. Der von der Partei abgemeierte Egoshooter, der, trotz seiner lauten und lautstarken Art, Recht haben zu wollen und sich einzumischen, sich behauptet hat.

Noch nie hat eine Oberbürgermeisterwahl einer Mittelstadt so viel Aufmerksamkeit erhalten. Noch nie hat sich die mediale Stimmungslage so unsicher gezeigt. Alle waren über das eindeutige Ergebnis überrascht. Soviel zur Politikfähigkeit von Medien.

Der eindeutige Ausgang der Wahl zeigt, dass Boris seinen Weg gefunden hat. Mit seinen Ecken und Kanten. Und plötzlich wird aus dem, auch in den Medien immer wieder so gescholtenen „Egoshooter“ ein Hoffnungsträger. Weil auf einer bundesweiten Bühne klargeworden ist, dass der von seiner Partei abgemeierte Palmer sehr wohl, trotz klarer und manchmal konfrontativer Art, in der Lage ist, zu gewinnen. Das ist der Unterschied von Boris Palmer zu Jürgen Trittin, der sich in seiner letzten Phase zu einer Art marxistisch grünen Kassandra wandelt. Boris nimmt die Rolle des Machers an, Trittin wird zum nervigen und genervten Rufer in der Wüste.

 

Für die Grünen wird nichts mehr so wie es war. Auch wenn sie sich noch weigern, sich das zuzugestehen.

Meine These ist, dass es auf dem nächsten Bundesparteitag zu einem Knall kommen wird. Die Partei (wahrscheinlich weniger), aber auf jeden Fall die Öffentlichkeit sehnt sich nach einem grünen Profil. Wozu heute noch Grüne, diese Frage stellt sich. Und viele der grünen Antworten sind so windelweich, dass die Menschen automatisch weghören.

Baustellen gibt es im Moment viele. Meiner Meinung nach sind alle Baustellen an unterschiedlichen Themen, aber alle an der Frage angesiedelt, wie es die Grünen mit der Wirklichkeit halten. Träumen sie sich weiter weg, indem sie von ihren Utopien schwärmen, eine ideale Gesellschaft an die Wand malen (das ist der Vorwurf, den ich auch dem wirtschaftspolitischen Papier von Janeschek und Schick mache), indem sie Konflikte wegdefinieren und Realitäten ausblenden, um mit sich im Reinen zu sein. Oder reden sie Tacheles, sagen, was das Dinglichste und Wichtigste ist (und das sind nicht zwanzig oder mehr Punkt, sondern maximal drei, sie müssen als psychologische Figur einleuchten, nicht in wissenschaftlichen Analysen), brechen Politik auf das herunter, was zu tun ist, was ansteht, was jetzt zu bewältigen ist. Und mit welcher Haltung es zu bewältigen ist.

Vor diesem Hintergrund sortiert sich auch die Kretschmann’sche Initiative ein. .Es geht nicht darum, dass, wie das ja auch die Grüne Bürgermeisterin in Kreuzberg, Frau Herrmann, bis zum Erbrechen inszeniert hat, Politik die Bühne bereit stellt, in der Flüchtlinge ihre zweifelsfrei berechtigten Interessen, die sich aber nicht in Reinform umsetzen lassen, bundesweit formulieren können. Man kann das eine Weile tun, um genügend Unterstützung zu mobilisieren, einen politischen Kurswechsel zu erreichen, aber dann ist man auch verpflichtet, zu handeln. Die Kreuzberger Bürgermeisterin Hermann hat eben nicht gehandelt, sondern sich auf, wie ich finde, unverantwortliche Weise, durchgewurstelt, weggeduckt.

Ganz ehrlich, nein, solche Politiker wollen wir nicht. Winfried Kretschmann und sein unkonventionelles Handeln in der Flüchtlingsfrage ist das Gegenteil davon. Er hat den „Sieg“ der Gegenseite auf der symbolischen Bühne (Einlenken) mit konkreten Verbesserungen eingetauscht, Verbesserungen, die dazu führen, dass Fremdenfeindlichkeit gar nicht erst entsteht, weil die Kasernierung, das Untätig sein, die damit verbundene Kriminalität minimiert werden.

Es ist ein Ergebnis. Und es zeigt, wie künftig grüne Politik geht. Nicht, wie Sozialdemokraten, den Bundesrat bis ins Letzte zu Machtspielen auf der politischen Bühne nutzen, sondern ihn dazu nutzen, auch aus der Opposition heraus praktisch verwertbare Ergebnisse zu erzielen, indem man alte Kulissen abreißt, alte Gräben überwindet. Und so neue Zustimmung findet.

Politik heißt Führung. Führung braucht Vertrauen. Und Personen, denen man vertrauen kann. Ja, auch ein Programm ist wichtig, das in die richtige Richtung zeigt. Aber jetzt, ein Jahr nach der Bundestagswahl und einen knappen Monat vor der nächsten Grünen Bundesversammlung warten alle Betrachter nur auf eines: Wer vom grünen Spitzenpersonal kann endlich eine verständliche Ansage machen, wer übernimmt Verantwortung, wer geht ins Risiko, wer wagt, damit er: Entweder scheitert. Oder eben gewinnt!

Führung bedeutet, auch  und gerade in schwierigen Zeiten „greifbar zu sein“. Führung braucht manchmal auch Abstimmung. Aber die grüne, nach innen gerichtete Parteikultur hat sich genügend abgestimmt. Das ist vorbei. Jetzt steht ein Richtungsentscheid an. Egal, an welcher Frage!

P.S. Wer aus dem Geschriebenen meint, es liefe auf Boris Palmer als neuen grünen Chef heraus, täuscht sich. So war das nicht gemeint, eher so, dass aus Niederlagen, (siehe auch den künftigen Regierenden Bürgermeister von Berlin, Herrn Müller von der SPD) oftmals Siegchancen erwachsen können. Nein, das heißt nur, dass sich einer aus der grünen Kulisse herausbewegen muss und Zustimmung – erzwingen!

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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