Warum Bildung eine Waffe ist. Und warum sie längst zum Klassenerhalt genutzt wird. Einige ganz unfreundliche Thesen.

Bildung ist Bürgerrecht. Mehr Bildung schafft mehr Gerechtigkeit. So klingt es uns in den Ohren. Dieser Gedanke beherrscht den öffentlichen Diskurs. Die Realität sieht anders aus. Die Klasse der Wissensarbeiter hat, Schelsky liefert, sorry, den Begriff dafür, die Herrschaft der Wissensarbeiter eingeleitet. Eine Polemik mit aufkärerischer Absicht.

Pierre Bourdieus Studien zur Reproduktion der Bildungsklassen liefern das Grundschema meiner Überlegungen. Bildung ist nicht nur Wissen, sie reproduziert sich in einem Verhaltensrahmen, einer Attitüde, die sozial hochselektiv ist. Im französischen Bildungswesen mit seinen Ecole Normales und den Eliteinstituten fällt das schön ins Auge (und, nebebenbei, das ist das Revolutionäre von Sarcozy, dass er diese Cliquenwirtschaft zerschlagen hat). Im dezentralen Deutschland mit seinen regionalen Oberzentren reproduziert sich die herrschende Klasse nicht so direkt im persönlichen Kontakt, sondern eher vermittelnd, subtil.

Zum Beispiel durch Bildung. Klassische Bildung. Ein Bildungsideal, das Menschen mit proletarischen, postproletarischen, randständigen und Migrationsbiographien einfach ausschließt. Wir nennen alle diejenigen, die nicht mit am Tisch der Bildungsbürger sitzen, die ressourcenarmen Menschen.

Zusammengefasst: Im Deutschen Bildungswesen reproduziert sich das Bildungsbürgertum selbst. Und es tut alles dafür, die Menschen mit anderen Biographien draußen zu halten. Zum Beispiel, in dem sie den Lehrkörper systematisch sozial reproduktiv besetzt. Bildungsbürgerlehrer für Bildungsbürgerkinder. Der Rest kann draußen bleiben.

Die Priesterherrschaft der Intellektuellen hat sich verändert. Und sie hat sich erweitert. Denn wenn wir uns umsehen, ist die Macht der symbolischen Herrschaft über die tatsächliche Welt mit der Hand zu greifen. Erfolg zählt nur, wenn er in den Katogorien der intellektuellen Priesterkaste zu erfassen ist. Die Herrschaft des grünen Tisches über die Realität ist so umfassend, dass wir von einer Parallelgesellschaft reden können. Die Parallelgesellschaft der Herrschenden eben.

Das möchte ich noch weiter beschreiben.

Richard Münch hat in seinen Studien zu Pisa und dem Bologna-Prozess auf die heimliche Herrschaft der Powerpoint-Klasse hingewiesen. Die Unternehmensberater, die in einer ständig selbst reproduktiven Kunstwelt leben. Erfolgreich ist dann immer das, was auch schon anders erfolgreich war. Führen die Rezepte der Unternehmensberater, für die übrigens immer Dritte, klassischerweise Mitarbeiter, haften müssen, nicht zum Erfolg, hat auch das keine Konsequenz. Flugs wird ein neuer Berater engagiert, der ein neues Standardmodell der Weltinterpretation aus dem Regel nimmt und mutig-unverfroren über die Realität stülpt.

Oder ein anderes, aktuelles Beispiel: Wenn der finanziell unendlich abgesicherte Thilo Sarrazin über die Kopftuchmädchen und die Türken herzieht, die bloß zum Betrieb eines Gemüseladens taugen, ist das die Arroganz, die bei vielen Menschen schon lange dazu geführt hat, sich vom herrschenden Politikbetrieb zu verabschieden. Für sie ist schon längst klar, dass der Politikbetrieb der Betrieb der Herrschenden ist.

Und vor diesem Hintergrund sind auch die anderen gesellschaftlichen Ereignisse zu erklären: Dass nämlich die Menschen bei Meinungsumfragen schon längst nicht mehr antworten, was ihre Meinung ist, sondern das, was sie denken, dass von ihnen erwartet wird. Die Ressourcenarmen, zumindest in Deutschland, deren Zustimmung zum System nicht mit dem Engagement für Bürger- und Freiheitrechte erkauft ist, geben keinen Pfifferling auf das Gerede von Meinungsfreiheit und liberalen Grundwerten. Sie setzen auf Sicherheit, in den letzten Jahren, in denen Sicherheit immer mehr zu einer unsicheren Angelegenheit geworden ist, klammern sie sich um so mehr an die Restsicherheit, die ihnen geblieben ist, das Hartz IV, das bischen Rente, die noch vorhandene Gesundheitsversorgung.

Das will ich nicht kritisieren. Aber zu kritisieren ist, dass die PowerPoint-Klasse gemeinsam mit den sogenannten Eliten auf den Chefpositionen und in den politischen Führungetagen weiter ihre Präsentationen darüber austauschen, wie man diese Kulisse des Sozialstaats weiterhin retten kann. Ulla Schmidt war da ein Paradebeispiel, wie sie die Behauptung, in Deutschland würden beim Arzt alle Menschen gleich behandelt werden, mit Emphase vorgetragen hat, ja, ich glaube, dass sie geglaubt hat, was sie sagte. Und deshalb ist Ulla Schmidt auch ein Ausdruck des tatsächlichen Elends, oder sagen wir des Dilemmas klassischer Sozialdemokratie (das ist nüchtern, ganz ohne Häme). Denn diese, von einer Linkspartei getrieben, will weiterhin das Bild des strengen, aber fürsorglichen Sozialstaats Bismarks, rot gewendet, aufrecht erhalten. Da hat es die wendige Angela Merkel, die weiss, wie elend andere Systeme mit globalem Lösungsanspruch gescheitert sind, schon einfacher. Sie hat ganz mir nichts, dir nichts, den Restmüll der christlich demokratischen Union in der Recyclingtonne entsorgt, um jetzt den staatlichen Fürsorger ohne Ideologieverdacht zu spielen. Das Ausgang dieses Experimentes ist allerdings offen. Aber angesichts des „Wünsch dir was“-Programms der Liberalen ist das ein ganz anderes Thema.

Die Vorherrschaft der grünen Tische gegen die Nutzung der realen Ressourcen ist einer der Gründe, dass Europa im Wettstreit gegenüber Asien und den USA hinten liegt. Es zählt nicht, was Erfolg hat, sondern es zählt, was sich gegenüber politischen Entscheidern gut verkaufen kann. Die Oligopole des Symbolischen.

Vor diesem Hintergrund entsteht auch das Bild einer Gesellschaft, die ihre ökonomische Dynamik planen kann. „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ zum Beispiel ist so ein Ding. Oder die IT-Gipfel, deren Ergebnisse; – ja, was eigentlich????? Das kann einem auch ein Insider nicht erklären, außer, dass es gut war, dass man mal darüber geredet hat.

Was folgert daraus eigentlich? Nein, nicht das amerikanische Modell, das hat andere Schwächen, die uns den Kopf kosten könnten. Am amerikanischen Modell überzeugt mich die Idee, dass Innovation immer aus kleinen Garagenfirmen kommt. Das ist so und wird so bleiben. Also geht es darum, die innovativen und dynamischen Buden zu fördern und die Idee, dass man da ein hohes Risiko eingehen kann uns sollte und dass die ganze Entwicklung, das ganze Geschäftsmodell dann extrem teuer zu verkaufen ist, dieses Modell erscheint mir überzeugend. Da macht Risikokapital auch Sinn. Und der Wohlstand der Verkaufenden ist der Preis dafür, dass eine Volkswirtschaft in einer sehr dynamischen, kompetitiven Zeit weiter dynamisch bleibt.

Aber neben der Frage, wie Dynamik herzustellen sei, ist auch die Frage von Bedeutung, wie Dynamik steuerbar bleibt. Schon eine schwierigere Frage, weil hier das alternativlose Denken von veröffentlichter Meinung, Politik und Wirtschaft in Deutschland immer noch einen Konsens bewahren, der eigentlich nicht mehr real ist. Weil er vor den anstehenden Problemen, der Integration, den demographischen Herausforderungen und dem Dynamikproblem nicht mehr bestehen kann.

Um zum Anfang zurück zu kommen, der Priesterherrschaft der Intellektuellen. Wer zu stark an der Idee festhält, man müsse alles, was nützt, im Rahmen eines Welterklärungsmodells erklären können, geht fehl. Wir müssen wieder lernen, das Richtige vom Falschen aus der konkreten Situation heraus zu erklären. Differenziert zu begreifen, ohne Pauschalisierungen auszukommen. Denn was im Schnitt falsch ist, kann im Einzelfall durchaus richtig sein. Weil die Rahmenbedingungen stimmen. Und weil jemand, der konkret vor Ort die Verantwortung für die Entscheidung übernimmt, mit dem Risiko des Scheiterns dafür haftet.

Aber diese Idee ist nur schwer nachzuvollziehen. Weil da kein McKinsey und kein Roland Berger mehr helfen kann. Oder anders gesagt: Weil man sich dann als Entscheider nicht mit dem Verweis auf Roland Berger und McKinsey aus der Verantwortung stehlen kann.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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