Ändere dein Weltbild, dann kannst du auch die Welt ändern. Eine Antwort auf das jüngste Hadern von Jörg Rupp

Lieber Jörg, 

nein, wir waren wahrscheinlich nur ganz selten einer Meinung. Und trotzdem will ich Dir, dem offensichtlich Noch-Mitglied der Grünen auf deine jüngste Intervention antworten. 

Um es kurz zu machen. Sie ist von gestern. Sie taugt für Grasswurzel, für Widerstand, für Anfangen. Sie taugt aber nicht für eine Partei, die das Denken einer Nation verändert hat. Und jetzt, wo sie die Nation verändert hat, sich schnell daran machen muss, sich selbst zu ändern. Nicht wegen der Prozente, nein, sondern deswegen, weil sie sich sonst dem, das sich ändert, in den Weg stellt. Weil sie selbst sonst Veränderung verhindert.

Die Grünen hatten immer Wurzeln in der Mitte der Gesellschaft, das waren die Ökologiefrage und die ganzen Fragen von streitbarer Demokratie und Minderheiten. Und sie hatten „von unten“ Wurzeln, das sind all die Fragen derer, die zu kurz kommen in der Gesellschaft (und in der Welt) und denen sie manchmal ihre Stimme geliehen haben.

Wahre Grüne sind für dich nur solche, die auf Demos, NGOs und Ideen von unten setzen.

Wahre Grüne sind für Dich, lieber Jörg, nur solche, die ständig und immer die Rechte von Unterdrückten ganz nach vorne stellen. Und wahre Grüne sind für Dich nur solche, die auf Demonstrationen, NGOs und Ideen von unten setzen.

Da stellt sich schon mal die Frage, ob du eigentlich den Rest der Gesellschaft, sagen wir, 80 Prozent, eigentlich für einfältig, verbildet, verblödet, gekauft und ähnliches hältst? 

Wenn ich in einer offenen Gesellschaft (ja, und das ist kein offenes Paradies, in der der Mehrwert von selber erwirtschaftet wird, sondern immer auch erwirtschaftet werden muss) von außen antrete, dann als Alternative zum Bestehenden. Nach vielem Scheitern der 68er wurden die Grünen zum Vexierbild aller, die eine offenere Gesellschaft wollten. Streitbar, diskursfähig, offen für Verschiedenheit und Minderheiten, stark für Frauenrechte. Und immer darauf bedacht, die Ressourcen unseres Planeten nicht zu verwirtschaften. 

Unmäßige Erwartungen der Grünen an andere. Und an sich selbst.

Schon diese Aufzählung zeigt, wie hoch der Anspruch der Grünen an sich selbst und andere war. Und tatsächlich gab es einen Modernisierungsstau in der bundesdeutschen Gesellschaft, den die Grünen, die Brandt-SPD überrennend und gegen die Schmidt-SPD kämpfend abgebaut hatten. Das Multikulti-Gerede war naiv und nur halb richtig, hat aber ermöglicht, dass die Biodeutschen zur Kenntnis nehmen mussten, dass da auch Eingewanderte sind. (Jetzt müssen sich die Grünen eingestehen, dass die Leitkultur-Idee gar nicht die Dümmste ist, wenn sie nicht mit dem Holzhammer eingebläut werden soll). Das Energiewende-Thema hat dazu geführt, dass die dicken Vier jetzt ihre Unternehmen zerlegen (oder abziehen) müssen, weil sie in ihrer Bräsigkeit (und zumindest bei der RWE spielt die politische Bräsigkeit eine große Rolle) die Rahmenbedingungen und die Chancen neuer Energien nicht erkennen wollten. Und auch in Sachen Minderheiten, plurale Lebensformen, Gleichberechtigung wurde viel erreicht: Weil die Grünen als Sammelbecken viele Ideen aufgesogen und in den politischen Diskurs eingebracht haben. 

Vom Wetter und Scheitern. Und Glück im Unglück.

Gescheitert sind die Grünen übrigens auch immer wieder. „Alle reden von der Einheit, wir reden vom Wetter“, hat aus den Westgrünen fast wieder eine außerparlamentarische Bewegung gemacht, wenn es nicht unsere „armen“ Bündnis-Geschwister aus dem Osten gegeben hätte. … Daraus entwächst Demut. Es lief nicht alles nach Plan!

Und jetzt? In Baden-Württemberg haben die Grünen, dank dem richtigen Mann zur richtigen Zeit (und auch, da muss man der harten Hand von Fritz Kuhn, der Offenheit von Rezzo Schlauch in Erinnerung bringen) und einer ganz nüchtern sachlichen Debattenkultur (und auch dem mahnenden Fingerzeig von Fukushima) die Chance, eine (fast) 30 Prozent Partei zu werden. Und hoffentlich, wieder die Regierung zu stellen.

Ein Wahnsinns-Weg. Aber wofür? Wozu? Und wie weiter?

Was mich, der ich den Berliner Betrieb beobachte, beschäftigt, ist, dass mir im Berliner grünen Betrieb (bis auf wenige) diejenigen fehlen, die das umtreibt, dass die Späzlesgrünen solche Ernten einfahren, wärend in Berlin das meiste Klein-klein geredet wird. 
Da sind die einen, die Linken, die entweder Folkorelinks machen wie Jürgen Trittin und seine Vorstandsvertreterin, Simone Peter. Und dann sind da die anderen jungen Linken, die nicht ganz so analytisch-zynisch wie Jürgen oder so politaseptisch wie Simone flux Karriere machen wollen. Radikal reden, geschmeidig netzwerken. 

Geht auch! Will ein paar ausnehmen, Toni, der noch daran arbeitet, was er eigentlich will (aber immer nachdenkt und für Überraschungen gut ist), Gerhard Schick und Sven Giegold, zwei die sich den schwierigen Themen annehmen und oftmals das Salz in der Suppe sind. Aber sonst: Viele geschmeidige Karrierelinke, die darauf hoffen, dass die Realos die Weichen stellen. Und sie dann per Quote mit aufspringen können. 

Und auch realoseits kann man feststellen, dass sich nur wenige in den Wind stellen, Cem sicher, der aus einer weltbürgerlichen Perspektive viele Fragen richtig beantwortet, Dieter Janecek, den alles umtreibt, was strittig ist, oder auch Robert Habeck, dessen Rütteln am Kanzlereinlass ziemlich früh, aber auch mit der richtigen Haltung erfolgt. Letzterer kommt aber nicht aus Berlin, sondern dem hohen Norden. Na, vieleicht kommt die Rettung für die Grunen auch aus der Fläche. Wir haben da ja auch noch Hessen.

Nie hatten die Grünen so viele Abgeordnete. Und so wenig zu sagen.

Nie hatten Grüne so viel Abgeordnete wie heute. Und ja, sie haben viele kompetente Fachpolitiker. Aber nur wenige, die darüber reden, das Grüne in neuer Zeit auch neue Grüne sein müssen. Und die sich darüber sorgen, ob sie die richtigen Schlüsse gezogen haben.
Politiker ist ein Beruf geworden. Und leider haben die grünen Berufspolitiker auch ihren Anteil daran, dass den Bürgerinnen und Bürgern die Lust an der Politik vergällt ist. Politik ist Stammtisch und viele Grünen wollten einen herrschaftsfreien Diskurs oder Partizipationsaktivitäten daraus machen. Den Hochschulführerschein als Lizenz zu streiten, den wollen und können viele Menschen aber nicht machen. 

Diagnose: political overstressed!

Mein Kommentar zur politischen Lage ist deshalb: Wir sind eine politisch überstresste Gesellschaft (deshalb empfinden viele, ich auch, Angela Merkel als standhaft und ehrlich). Jeden Tag ne andere Sau durchs Dorf, im Gründuktus immer alles ganz wichtig und eilig, wir müssen die Welt retten. Und zwar sofort. Und das seit über dreissig Jahren. 

Das klappt heute nicht mehr. 

Und spätestens deswegen ist es wichtig, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Weil es jetzt für Grüne, an die Macht gekommen, darum geht, nachhaltig auf neuem Kurs Fahrt aufzunehmen.

Das wird auch mit Daimler sein und Porsche und Bosch und Export und Maschinenbau und und und dem allem, was Deutschland stark macht. Aber auf diesem Kurs wird es darum gehen, die Ideen aufzugreifen, die Deutschland stärker machen und die Welt besser. Da kann man Richtiges machen und Falsches, da müssen auch die Grünen wieder mal lernen, was ein Weg und was ein Holzweg ist. Aber die Alternative, die Du vorschlägst, immer vom unten und immer alle fragen und immer von ner anderen Gesellschaft träumen, in der alle freiwillig arbeiten und niemand zu nichts gezwungen wird: Vergiss es! Oder träum weiter. 

Politik im Jahre 2016 geht anders. 

Und für diese Situation Deutschland 2016, Europa 2016, die Welt 2016 gibt es keine einfachen Antworten mehr, sondern nur das vorsichtige Vortasten, wie es Angela Merkel und Winfried Kretschmann versuchen. Oder das Hüh und Hott vom Gabriel (Mal diese Zielgruppe ansteuern dann jene). Oder das populistisch reaktionäre Gedröhne der AfD. Oder das reaktionär „ich will aber weiter träumen“ vom Altlinken Lafontaine. 

Politik ist Interessensausgleich. Auch Interessensausgleich des reichen Westens mit dem Rest der Welt. Aber Interessensausgleich ist nicht interesseloses „Rettet die Welt, egal, was es uns kostet, was es nutzt“. Das auszusprechen, fällt vielen, im besten Sinne „Gutmenschen“ schwer. Und einen belastbaren Weg zu finden, ist noch schwerer. Aber für eine Partei, die nach Lösungen sucht, gibt es keine Alternative. 

Und deswegen: Ändere Dein Weltbild und ändere die Welt. Oder bleib so und grummel weiter. 

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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