25 Jahre Gesundheitsreform. Eine Tour’d horizont mit Franz Knieps beim Spreestadtforum.

Ich fang mal so an: Nie war ich so ratlos wie heute. Franz Knieps, einer der wenigen, die Gesundheitspolitik in ihrem ganzen Umfang und den erwünschten und unerwünschten Auswirkungen ihrer Entscheidungen abschätzen können, war zu Gast beim Spreestadtforum. Am Rosenmontag, was, nach eigenem Bekunden, für den bekennenden Rheinländer Knieps kein Problem ist. Kein Wunder, war mein Blitzgedanke: Schließlich ist Gesundheitspolitik Ganzjahresmaskerade.
 
Aber zurück zum Thema: 25 Jahre Gesundheitsreform, bilanziert von einem, der nicht nur dabei war, sondern der das Ganze maßgeblich mitgestaltet hat.

Noch bis 1988 galt in der Bundesrepublik die Reichsversicherungsordnung von 1911

Um den wesentlichsten Unterschied herauszuarbeiten, hat er noch ein bißchen weiter ausgeholt. Früher war alles ideologischer, so beschreibt er die Zeit bis Ulla Schmidt. Bis 1988 wurde das Deutsche Gesundheitswesen bis 1988 nach der Reichsversicherungsordnung von 1911 gesteuert. Ständeinteressen wurden deswegen nahtlos aus dem 19. Jahrhundert bis an die Schwelle des 21. Jahrhunderts transferiert. Während also bis Ende der achziger Jahre Polarisierung auf der Agenda stand, wurde es danach ruhiger. Knieps verwies auf die Untersuchungen des Brauschweiger Soziologen Prof. Dr. Nils C. Bandelow, der bilanziert, Gesundheitspolitik wäre für die Bürgerinnen und Bürger kein Thema. Sie würden lediglich die Stimmungen aufnehmen, die rund um die permanenten Veränderungen des Gesundheitswesens wahrnehmbar würden. Ein Umstand, der vor allem linken Kämpfern zu denken geben sollte.
 

Reform als Dauerveranstaltung

 
Die Hoffnung auf „die große“ und alles lösende Reform, so Knieps, die auch er in seiner Anfangszeit hatte (noch ein Bonmot: Die Idee des SGB V war, anstatt der alten RVO ein gut verständliches Gesetz zu schaffen, das jeder Bürger verstehen könne), wurde begraben. Stattdessen hat man sich an mindestens eine Gesundheitsreform pro Legislaturperiode gewöhnt.
 
Kein Zweifel, Knieps (ich nehme an, die Folien der Veranstaltung werden noch alle in die Runde gegeben) hat alle Baustellen, Themen und Herausforderungen benannt.
 
Wenn ich jetzt die Ausführungen des kompetentesten Kenners des Gesundheitswesens bilanzieren soll, bin ich, wie angekündigt, dann doch etwas ratlos.
 

Was ist eine sinnvolle Reform?

 
Ich kenne viele Reformansätze für das Gesundheitswesen. Die meisten kommen relativ geschlossen daher und versuchen, sich ein Gesamtbild zu verschaffen. Und von diesem Gesamtbild aus werden dann Maßnahmen abgeleitet.
 
Auf solche Ansätze verzichtet Knieps (aus Erfahrung, vermute ich mal). Was bleibt, ist die Botschaft, dass alle Reformen Stückwerk sind, es eine Pfadabhängigkeit von Reformvorschlägen gibt. Und ne Menge Herausforderungen und Chancen.
 
Trotzdem steht man, wenn man sich ein bißchen mit politischer Steuerung beschäftigt hat, ratlos davor. Spiegelstriche ergeben kein Bild, keine Szenarien, keine Prioritäten. Die Frage, was prioritär ist, konnte auch er nicht beantworten. Den Hinweis, dass alle Parteien sich quasi auf das zentralistische und kopfgesteuerte (G-BA) korporativistisch entschleunigte Gesundheitswesen eingelassen haben, dementierte er nicht. Die Frage, was er vom Münch’schen Modell der Netzwerkmedizin halte, beantowrtete er mit einer Schärfe, die persönliche Berührung vermuten lies, inhaltlich aber nicht gedeckt war. Der Hinweis darauf, dass es Herrn Münch in 20 Jahren nicht gelungen sei, eine Kasse dazu zu bewegen, das Modell mit umzusetzen, ist albern. Immerhin ist Münchs Idee die einzige, die das deutsche Gesundheitswesen aus einer anderen Akteurskonstellation heraus denkt (Es wird nicht eine grüne Tisch Idee für das ganze Gesundheitswesen entwickelt, sondern aus den Leistungserbringern heraus wird einer oder mehrere Akteure konfiguriert, die die Kraft haben, aus eigener Sicht und mit einer eigenen Haltung Lösungen zu entwickeln und anzubieten); – Andere Ideen, die viele mitgetragen haben, sind vielleicht verwirklicht worden, haben jedoch nicht zu den erwünschten Ergebnissen geführt. Und der zwischenzeitlich eingestreute Hinweis, es würden in dem Ansatz viele gute Ideen stecken, war angesichts der Wucht der Reaktion etwas schwach.
 
Was bleibt also? Der Verweis Knieps, man könne nicht alles über Honorarordnung und Strukturen lösen? Es käme auch auf die Haltung an?
 

Meine These: Sich mit den größten Schwachstellen des Systems auseinandersetzen ist wichtiger als „Das Konzept“ zu präsentieren

Mein Ansatz ist ja der, dass man die größten Schwachstellen unseres Gesundheitssystems und Prioritäten definieren müsste, daraus Szenarien zu entwickeln, die Schwachstellen dieser Szenarien identifizieren und dann verschiedene Szenarien miteinander abgleichen. (Die größten Schwachstelle: Die mangelnde Bereitschaft und die mangelnden Spielräume der Akteure, bessere Lösungen zu entwickeln und umzusetzen. Sie erfordert unternehmerisch denkende Akteure, die über genügend finanzielle und mentale Ressourcen verfügen, neue Lösungen zu entwickeln).
 
Aber ich erkenne nur Parteien, die Wolkenkuckucksheime bauen oder weiterverwalten. Ich erkenne eine Gesundheitswissenschaft, die sich im Klein-Klein gesundheitsökonomischer Mühsal, gut dotiert, abarbeitet, aber den Impuls für ein besseres Gesundheitswesen längst aufgegeben hat. Schade eigentlich, immerhin haben wir mehr gesundheitsökonomische Lehrstühle als jemals zuvor. Und ich erkenne, das jetzt mit Respekt, eine Verwaltung, die die ihr zugetragene Arbeit, das alles zu administrieren, wirklich ganz gut macht. Aber die ordnungspolitische Ausrichtung ist nicht ihre Angelegenheit, da sind andere gefragt. Gesundheitspolitische Governance würde erfordern, dass die Akteure ihre Rolle reflektiert und korrigiert werden; das wäre, beim Stand der Dinge, die politische Aufgabe. Nur soviel: Sexy ist das nicht, das riecht wieder einmal nach Konflikten.
 

Not verändert. Geld nicht!

Wann ändert sich etwas im Gesundheitswesen? Wenn die Not groß genug ist. Eine völlig realistische Knieps’sche Einschätzung. Leider: Denn die Töpfe waren in dieser Legislaturperiode gut gefüllt, so konnte Hermann Gröhe gute SPD-Gesundheitspolitik machen (Ja, ich weiß, Herr Gröhe von der CDU. Aber CDU war noch nie ein Hindernis, SPD-Politik zu machen).
 

(Ergänzungen: 15.2.2015) Reformbaustellen

Auf zwei Baustellen stehen, folgen wir Knieps, Veränderugen an: 
 
Dem Versicherungsmarkt. Dabei geht es darum, einen einheitlichen Versicherungsmarkt mit fairen Ausgangsbedingungen zu schaffen, einem Anliegen, das nach Knieps auch von vielen der privaten Krankenversicherern getragen wird. 
Der Integration von ambulanter und stationärer Versorgung zu einer transparenten, kapazitativ optimierten und  patientenorientierten Versorgung.
 
Wobei wir wieder bei de Frage wären, wie diese Reformbaustellen, die an die Bestandsinteressen der etablierten Player Hand anlegen, tatsächlich Weichenstellungen erfolgen sollen. Insesondere zwischen Skylla „politischem Versichertem-Appeasement“ und Charbdis „blockierender Selbstvewaltung“ scheit es zweifelhaft, wie sich flexible und leistungsfähige Lösungen entwickeln könnten. /Und in Sachen „einheitlicher Versicherungsmarkt“ sind nur mittelfristige Lösungen vorstellbar, wenn dieses Thema nicht in den Focus parteipolitischer Debatten geraten. Daran haben sich schon beim VErgangenen Wahlkampf rot und grün erfolglos ihre Finger verbrannt. (Ende der Ergänzungen). 
 

Aus Innovation Illusion machen. Oder: Wie 1,2 Milliarden im Nichts versinken.

Und dann war, wenn wir beim Thema Veränderung sind, noch eine Schlußfrage (Dank an den Frager): Was halte denn Knieps vom Innovationsfonds? Die Antwort fiel dann doch in einer Eindeutigkeit aus, die Knieps wieder einmal als den erkennen ließ, der er ist. Sie war nicht weit entfernt vom „Bundesillusionsfonds“, als den ich ihn bereits vergangenes Jahr bezeichnet hatte. Im Klartext: Der Innovationsfonds ist bereits tot, bevor er die erste Vergabe erledigt hat. In der FAZ von heute, 9.2., lesen wir, die DLR wäre jetzt beauftragt, die Anträge abzuarbeiten. Die DLR, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrtgesellschaft!!!. Nachdem es mit der deutschen Raumfahrt ja nicht so wirklich vorangeht, hat sich die DLR zur eierlegenen wollmilchsau-Geschäftsbesorgungsagentur des Bundes gewandelt.
 
Vom Thema keine Ahnung. Aber das macht ja nichts, über die Innovation befinden ja ohnehin die Mächte, die bisher die Innovation erfolgreich verhindert haben.

Nikolaus

Frühaufsteher. Politischer Beobachter aus Leidenschaft. Das Bessere in der Welt entsteht nur, wenn man und frau sich neues zu denken traut.

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